Archiv der Kategorie: Geschichte(n) aus dem Waageplatz-Viertel

Wir sammeln hier Erzählungen und historische Geschichte(n) aus unserem Viertel.

Die Stockleffmühle – ein faszinierendes Denkmal der Mühlentechnik

Eingeschüchtert von der modernen Nachbarschaft, trotzt die Stockleffmühle am Leinekanal (noch) dem Zahn der Zeit. Das Nebengebäude wurde schon 1967/68 ein Opfer der Abrissbirne, als das alte Stadtbadehaus von 1903-6 durch einen Neubau ersetzt wurde. Aus der neuen Schwimmhalle konnte man danach durch die Glaswand auf die erhalten gebliebene Mauer zum Leinekanal blicken. 2002 wurde das neue Stadtbad seinerseits abgerissen und an seiner Stelle 2011 der Rudolf-Gernhardt-Platz gebaut, aber die Mühle wartet weiterhin auf den „Märchenprinz“, der sie wachküsst und saniert, etwa für die Nutzung als „Welthaus“. Ein Gutachten des Bauforschers Frank Högg ergab ein überraschend hohes Alter für die Fachwerkkonstruktion: Das mächtige Dach wurde 1595/96 aufgerichtet. 1804 wurde die Tür zur Brücke über den Leinekanal erneuert, von der aus die Wehre bedient und so die Wassermengen reguliert werden konnten. Die Jahreszahl steht zusammen mit zwei Wappen der Stadt Göttingen auf dem mächtigen Türsturz aus Sandstein.

Blickt man vom Waageplatz aus durch die Äste der großen Weide, erhält man einen Eindruck davon, was für eine ungewöhnliche Anlage sich hier befand (Bild unten). Ein Entwurf für den Umbau der Stockleffmühle aus dem Stadtarchiv veranschaulicht die Konstruktion: in zwei Reihen drehten sich fünf bzw. vier Räder hintereinander. Sie betrieben acht Mahlwerke für Getreide und eine Ölmühle. Allerdings wurde der durchgreifende Neubaubauplan nicht realisiert; statt dessen beließ man es bei der historisch gewachsenen, etwas unregelmäßigen Abfolge der Mühlräder. Dies lässt sich daran ablesen, dass die Öffnungen in der Mauer, durch welche die Radachsen führten, nicht alle auf dem gleiche Niveau liegen: Im Süden gibt es fünf höher liegende Öffnungen, während sich im Norden zwei höhere und zwei niedrigere abwechseln. Schaut man genauer hin, bemerkt man, dass die fünf südlichen Öffnungen nachträglich angehoben wurden, indem man einen großen Sandsteinblock einbaute. Der gebogene Sturz wurde in diesem Zusammenhang vermutlich ebenfalls höher gesetzt. Auf alten Fotos aus den 1930er Jahren waren sämtliche Öffnungen zugesetzt, erst später öffnete man sie wieder teilweise. Die Höherlegung der Öffnungen erfolgte vermutlich, weil man größere Räder einbauen wollte, durch die mehr Kraft auf die Achse übertragen wurde. Dem Umbauplan lässt sich dagegen entnehmen, dass die Mühlräder nach Norden zu stückweise größer werden sollten. Demnach sollte der Leinekanal als gleichmäßig abfallende Rampe gestaltet werden. Vielleicht hatte man auch den Raum mit den Mahlwerken angeschüttet, um die empfindliche, hölzerne Mechanik vor den regelmäßigen Überschwemmungen zu schützen.

Oben: 3D-Modell der Stockleffmühle mit Öffnungen für die Achsen der Mühlräder (Norden ist links); unten: nachkolorierter Umbauplan der Großen Mühle aus dem 18. Jahrhundert (nicht realisiert), zur Veranschaulichung mit der realen Situation synchronisiert (Quelle: Stadtarchiv Göttingen, AA Nr. 3687; Kolorierung: Thomas Küntzel).

Weiterlesen

„Sprützenprowe“ und „Marestratsbeleidijung“ – zwei „Cheschichten“ von Schorse Szültenbürger auf dem Waageplatz

Mit gleich zwei Geschichten wurde der Waageplatz in den plattdeutschen Erzählungen von Ernst Honig aus dem alten Göttingen verewigt: Der „Sprützenprowe“ (Spritzenprobe) und der „Marestratsbeleidijung“ (Magistratsbeleidigung). Die erste Geschichte berichtet von dem jährlichen Test der Feuerspritzen der Bürgerwehren in einer Zeit, als es schon die ersten Hydranten gab. Die Bürger (die zur Teilnahme verpflichtet waren), mussten mit Strafgeldern dazu gebracht werden, zu diesem Termin zu erscheinen, weil er zunehmend folkloristischen Charakter bekam und nicht mehr ganz ernst genommen wurde. In der „Marestratsbeleidijung“ geht es um das lose Mundwerk eines Bürgers, der sich in einer Kneipe lautstark darüber beschwert, dass er seine Wagen nicht mehr auf dem Waageplatz parken kann, da ein Bauzaun beim Bau des Gerichtsgebäudes (1854-1856) die Stellplätze versperrte – Parkplatzsorgen Mitte des 19. Jahrhunderts! Die Vorladung, die der Bürger dann erhält, betraf jedoch ein Verkoppelungsverfahren, wie sie im 19. Jahrhundert nacheinander in allen Dörfern rings um Göttingen, um 1879-1888 auch für die Feldflur von Göttingen selbst durchgeführt wurden.

Der Bäckermeister Ernst Honig (1861-1930), dessen Haus in der Jüdenstraße steht, verfasste die Geschichten um 1896. Die pittoresken Masken einiger seiner Helden sind an seinem Haus zu entdecken. Den Bau des Obergerichts kannte Ernst Honig nur vom Hörensagen, während er die Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerwehren und der „Freiwilligen Feuerwehr“, die 1856 gegründet wurde, wohl noch aus seinem aktuellen Erleben heraus schildert. Pumpspritzen, wie sie bei der „Sprützenprowe“ zu Einsatz kamen, waren Ende des 19. Jahrhunderts üblich. Erst ab 1906 wurde die Feuerwehr professionalisiert. Die Spritzentests sollten gewährleisten, dass die beweglichen Teile und die Schläuche der Spritzenwagen einsatzbereit waren, denn, wie Honig beschreibt, nisteten sich gerne Mäuse darin ein und nagten die Schläuche durch. Der Waageplatz bot sich als Testgelände an, da man hier das Wasser aus dem Leinekanal abpumpen konnte. Die „Freiwillige Feuerwehr“ schloss ihre Schläuche bereits an die neuen Hydranten an, die ihr Wasser aus der Hainberg-Druckleitung erhielten (gebaut ab 1872).

Thomas Küntzel

Spritzenwagen um 1883 (aus Brockhaus‘ Conversations-Lexikon, 6. Band, Leipzig 1883).

Die Geschichte von der „Marestratsbeleidijung“ ist bei Google Books nachzulesen:

https://books.google.de/books?id=cqPycvoRhzYC&pg=PA99&lpg=PA99&dq=schorse+szültenbürger+marestratsbeleidijung&source=bl&ots=KM9E3JDBQu&sig=ACfU3U2nsgPQ_vdTlCCG5PVY44P23zGvzQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwij-4SUg4KAAxWO7qQKHVF_C2QQ6AF6BAgiEAM#v=onepage&q=schorse%20szültenbürger%20marestratsbeleidijung&f=false

Von der Senatorenvilla zur Sackstopferei: Das Gelände südlich des Waageplatzes im 19./20. Jahrhundert

Das südliche Ende des Waageplatzes wirkt heute unspektakulär: Parkplätze und das DKV-Bürohochhaus haben alle historischen Spuren verwischt. Das Hochhaus galt in den 1980er Jahren sogar als Negativbeispiel einer nicht an die Umgebung angepassten Bauweise (etwa im Planungsleitbild 1988, S. 249). Die Stadtverwaltung war damals stolz auf die überarbeitete Gestaltungssatzung, die vorschrieb, wie ein Gebäude in den Bestand einzufügen war, ohne das Straßenbild zu stören, z.B. wie viele Stockwerke es haben durfte, wie es gegliedert sein sollte und wie das Dach gestaltet sein sollte. Heute mag man z.T. anders darüber denken, gilt doch die Architektur der Moderne mittlerweile auch grundsätzlich denkmalpflegerisch als erhaltenswert, und zumindest das DKV-Hochhaus ist sehr viel feiner gegliedert als z.B. das ehemalige Hertie-Kaufhaus (heute Carré).

Entwurf für die Villa des Senators Hesse, 1883 (Stadtarchiv Göttingen)

Die Fotos und Pläne im Stadtarchiv geben Einblick, welches Gebäude hier vor dem Bau des Hochhauses gestanden hat: Eine prächtige Villa im historistischen Stil, mit einem weitläufigen Garten. Über dem Leinekanal erhob sich ein Gartenpavillon. Die Villa wurde 1883 von dem Müllermeister Hermann Hesse errichtet, der später Senator beim Rat der Stadt wurde. Er kam aus einer Müller-Dynastie, die auch in der Großen Mühle (Stockleffmühle) wirkte. Zwölf Jahre später entstand ein Gartenpavillon.

Entwurf zu einem Gartenpavillon auf dem Grundstück Obere Masch Straße 8, 1895 (Stadtarchiv Göttingen)

Die Villa wurde im ausgedehnten Gartenbereich des Hauses Obere Masch Straße 8 gebaut, das ursprünglich der Familie Hesse gehörte. Eine Brücke führte direkt über den Leinekanal zur Mühle. Zwischen Waageplatz und dem Grundstück Obere Masch Straße 8 floss damals noch der Maschbach. Er wurde später verrohrt und schließlich eine Straße südlich am Gefängnis vorbei zum Waageplatz angelegt. Hierfür wurde 1932 die Parzellengrenze zurückverlegt. Damals befand sich auf dem Villengrundstück die Autowerkstatt H. Fütterer, in der auch aus Stahlrohren Möbel hergestellt wurden. In der Villa waren mehrere Mietswohnungen eingerichtet worden. Sogar der Keller war bewohnt, was jedoch baupolizeilich beanstandet wurde. 1951 sollte das Grundstück von einer Erbengemeinschaft verkauft werden. Die Fläche wurde auf 2379 m2 veranschlagt. In den einstigen Ställen war eine Sackstopferei untergebracht, deren Verkaufsgeschäft sich in der Weender Straße beim Nabel befand. Es war damals geplant, 40 Garagen zu errichten. 1958 wurde die Villa abgerissen, weil sie baufällig war: Die Balken waren wurmstichig und vom Schwamm befallen, die Decke zum 1. Obergeschoss nicht mehr tragfähig. An ihrem Platz wurde nun das DKV-Hochhaus errichtet, was damit zu einem der ältesten Hochhäuser der Stadt wurde (gemeinsam mit dem Gebäude der Sparkasse am Groner Tor und dem Opel-Hochhaus). Weiterlesen

Hieroglyphen zwischen Schweineställen – Der Ägyptologe Heinrich Brugsch in der Unteren Masch Straße

Pylon des Tempels von Hibe in der Oase El Khargeh (Charga), aus: H. Brugsch, Reise nach der großen Oase El Khargeh, 1878, Taf. 4 (gdz.sub.uni-goettingen.de)

In den Erinnerungen berühmter Literaten des 19. Jahrhunderts kommt Göttingen nicht immer gut weg: Das Urteil Heinrich Heines über die „Göttinger Würste und die Universität“ ist berüchtigt, und die Schilderung des bedeutenden Pharaonenforschers Brugsch steht ihm kaum nach: Die Wünsche der Göttinger an das Dasein seien bescheiden, die Wirkung der kleinen Stadt mit ihrem „beengenden Halsring“, dem Stadtwall (der damals noch die Grenze zum Umland markierte) auf den weitgereisten, in Berlin aufgewachsenen Gelehrten „abspannend“. Das Bestreben der Stadtbewohner sei nur darauf aus, ein Zimmer des Vorderhauses an einen zahlungskräftigen Studenten zu vermieten und im Hinterhaus ein „greulich stinkendes Schwein“ zu halten (S. 274). Während sich Heinrich Brugsch bemühte, sein Altägyptisch- und Hieroglyphen-Wörterbuch zu schreiben, kämpfte er gegen die Fliegen und litt unter dem Gestank der „widrigen, grunzenden Gesellschaft“, die seine Nachbarn im Garten hielten. Die Fenster seines Hauses, das auf dem Grundstück der Nr. 16 (damals Nr. 17) stand, blieben deshalb meist geschlossen. Besonders im Sommer litten seine Geruchsnerven, und er sehnte sich nach den „reinen Lüften unter dem blauen Himmel des Niltals“. Dabei war seine Nachbarschaft durchaus anregend, wohnte doch nur wenige Häuser weiter der Historiker und Hebräist Heinrich Ewald, mit dem er sich angeregt austauschte, obwohl Ewald aufgrund seines verbissenen Charakters und seiner Abneigung gegen Preußen gefürchtet war; auch mit dem Sanskritforscher Benfey sowie den Physikern Wöhler, Weber und Listing pflegte er freundlichen Umgang. Den Astronomen Klinkerfues bewunderte er als „Witzbold sondergleichen“. Die Vorlesungen von Heinrich Brugsch waren mit bis zu 500 Zuhörern gut besucht, und sie wurden scherzhaft als „Sommertheater der alma mater“ bezeichnet. In seiner Biographie nehmen die Göttinger Jahre aber nur wenig Raum ein, denn er erzählte am liebsten von seinen Forschungsreisen nach Ägypten und Persien, über die er auch spezielle Bücher geschrieben hat. Umgekehrt ist Brugsch in der interessierten Öffentlichkeit kein besonders bekannter Name, obwohl er bahnbrechendes für die Erforschung der antiken Kultur im Niltal geleistet hat. Schon als 16-jähriger Abiturient entschlüsselte er 1848 mit Hilfe des Steins von Rosette und zahlreichen Inschriften, die er per Hand im Berliner Museum in Monbijou abgeschrieben hatte, die demotische Sprache und Schrift, die gewissermaßen eine Spätform der Hieroglyphen und des Altägptischen darstellt. Dies erregte die Aufmerksamkeit von Alexander von Humboldt, der sein Förderer wurde, während der Ägyptologe Karl Richard Lepsius nicht viel von seinen Kenntnissen hielt. Er warf ihn sogar aus seiner Vorlesung und hintertrieb seine Promotion, aber Brugsch absolvierte schließlich doch an der Universität Berlin sein Studium. Weiterlesen

Klein Versailles im Hinterhof der Stadt? Wie der Waageplatz seinen Springbrunnen bekam

Die Planungen zur Modernisierung der City sahen in Göttingen seit den 1930er/40er Jahren vor, die Stadt autofreundlich zu gestalten. Parkplätze und breite Zufahrtsstraßen sollten es Kunden ermöglichen, möglichst bequem zu den Geschäftsstraßen zu gelangen. Dies wurde zunächst mit der Einrichtung der Fußgängerzone nicht anders, denn sie umfasste zu Beginn lediglich die zentralen Straßen der Stadt: Die Weender Straße und die Groner Straße sowie angrenzende Winkel. Es war sogar geplant, das Johannisviertel für einen Busbahnhof abzureißen. Der Waageplatz diente in diesem Szenario hauptsächlich dazu, die Zahl der Stellplätze für die Blechkutschen zu erhöhen. Auch viele Werktätige parkten hier, etwa Beschäftigte des Landgerichts (und später der Staatsanwaltschaft).

Orthofoto des Maschviertels von 1971 auf https://stadtplan.goettingen.de. Die „Parkplatzmeile“: Synagogenplatz, Waageplatz, ehemaliges Reitstall-Gelände.

Durch den Bau von Parkhäusern am Groner Tor und in der Hospitalstraße entspannte sich die Situation etwas. Durch den Erfolg der Fußgängerzone und das wachsende Bewusstsein für die Bedeutung der Innenstadt innerhalb des Walles als gewachsene städtebauliche Einheit in ihrer Gesamtheit rückten nun die peripheren Plätze in das Bewusstsein der Stadtplaner: Der Wilhelmsplatz und der Waageplatz, die 1978 bzw. 1979 in „Schmuckplätze“ und „grüne Oasen“ umgewandelt wurden. Der Wilhelmsplatz diente wie der Waageplatz hauptsächlich als Parkplatz, obwohl sich hier mit der Aula der Universität eines der repräsentativsten historischen Gebäude der Stadt erhob. Das Gerichtsgebäude am Waageplatz wirkt mit seiner romanisierenden Fassade nicht weniger imposant. So entschloss man sich, die Freiflächen in neue, attraktive Freizeiträume zu verwandeln: Parks statt Parkplätze, hieß nun die Devise. Die Planungskonzepte der späten 1980er Jahre betonen, dass damit die Anziehungskraft der Stadt auf Konsumenten gestärkt werden sollte. Ein wichtiges Ziel war also die Bindung der Kaufkraft, wobei Göttingen namentlich mit Kassel konkurriere, das für seine barocken Parkanlagen berühmt ist (Karlsaue, Bergpark). Im Planungsleitbild 1988 wurden die Grundsätze für die Baupolitik folgendermaßen formuliert: Es solle alles erhalten, angesiedelt und gefördert werden, was zur Lebendigkeit der Stadt beitrage (S. 10). Dies bedeute „Vielfalt in jeder Beziehung, Unterbringung aller denkbaren Nutzungen und Tätigkeiten“ sowie „größtmögliche Erlebnisdichte“, um zu verhindern, dass die Attraktivität der Innenstadt für ihre Bewohner und den Fremdenverkehr sinke. Weiterlesen

Wüstengestrüpp und Seegurken: Mit Peter Forsskål auf Reisen

Der Name Forsskål ist nur unter Spezialisten ein Begriff; die meisten werden ihn nie gehört haben. Auf der Gedenktafel am Haus Obere Masch Straße 5 liest man, er sei Forschungsreisender gewesen, was neugierig macht: Wohin führten ihn seine Reisen, was erforschte er dort?

Die Reise, die ihn berühmt machte, fand zwar nach seinem Göttingen-Aufenthalt statt, andererseits wurde die Idee zu der Expedition damals geboren. Peter Forsskål erblickte 1732 in Helsinki das Licht der Welt und schrieb sich schon mit zehn Jahren an der Universität Uppsala ein, was damals nicht ganz ungewöhnlich war. Bei Carl von Linné wurde er zum „Naturhistoriker“ und lernte, Lebewesen zu klassifizieren. Als er 1753 in die Universitätsstadt an der Leine kam, studierte er jedoch bei dem Orientalisten Johann David Michaelis, der im November diesen Jahres bei einem Vortrag vor der Akademie eine Reise nach Arabien vorschlug. Als Linguist kannte er zwar die hebräischen Wörter für viele Tier- und Pflanzenarten, die im vorderasiatischen Raum vorkommen, konnte sich aber keine Vorstellung von ihrem Aussehen machen. Michaelis schätzte Forsskål bald als eifrigen Studenten, der einen kritischen Geist besaß und alles hinterfragte, und schlug ihn für die geplante Expedition vor.

Bevor die Reise jedoch begann, kehrte Forsskål zunächst einmal nach Kopenhagen zurück. Dort bemühte er sich, eine aufklärerische Grundsatzschrift zu publizieren, die der Ausgangspunkt für seine Dissertation sein sollte: „Tankar om Borgerliga Friheten“, auf deutsch: Gedanken über bürgerliche Freiheiten. Er forderte darin nicht nur Presse-, sondern auch Religionsfreiheit und das Recht, Glaubensinhalte zu hinterfragen, zudem stellte er die privilegierte Stellung Einzelner in Frage, was in der herrschenden Ständegesellschaft damals die Regel war. Die Philosophische Fakultät der Universität Uppsala weigerte sich prompt, das (lateinische) Exposée zu publizieren. Das Thema wurde als „sehr delikat“ beurteilt, und die königliche Kanzlei betrachtete es sogar als gefährlich. Die Druckausgabe, die schließlich doch im November in Stockholm erschien, wurde verboten. Die im Umlauf befindlichen Drucke sollten konfisziert werden, was jedoch nicht sehr gründlich umgesetzt wurde. Forsskål hatte sich schon ein zu großes Renommé erworben, und er war ja auch als Mitglied jener Expedition vorgesehen, dessen Finanzierung der dänische König Friedrich V. übernommen hatte: der Orientalischen Reise.

Die „Arabische Reise des Carsten Niebuhr“, als welche die Expedition bekannt wurde, war von Michaelis zwischenzeitlich zu einer europäische Angelegenheit erhoben worden. Er hatte Forscher in allen Ländern aufgerufen, Fragestellungen einzureichen, die auf der Reise geklärt werden sollten – der Katalog umfasste schließlich mehrere hundert Fragen, etwa nach dem Charakter des Manna in der Bibel, nach „reinen“ und „unreinen“ Tieren und den Heuschrecken der ägyptischen Plagen. Neben Peter Forsskål als Botaniker und Zoologe sowie dem Mathematiker Carsten Niebuhr (1733-1815), der die Unternehmung leitete, gehörten dem Team noch der Arabist Friedrich Christian von Haven (1727-1763) an, der Arzt Christian Carl Cramer (1732-1764), der Zeichner und Kupferstecher Georg Wilhelm Baurenfeind (1728-1763) und der Dragoner Berggren. Bis auf Niebuhr kehrte keiner der Teilnehmer lebend von der Reise zurück, die bis 1766 dauerte. Von Alexandria aus reiste man zunächst durch Ägypten zum Roten Meer und in den Jemen, um von dort nach Bombay aufzubrechen. Schon während dieses Abschnitts der Reise erkrankte einer nach dem anderen an Malaria und starb (Niebuhr erklärte dies allerdings damit, dass sie sich nicht auf die tropische Lebensweise einstellen wollten). Nun allein auf sich gestellt, setzte Carsten Niebuhr seine Reise von Indien zurück nach Persien und Palästina fort. Er publizierte seinen Reisebericht ab 1772 als „Beschreibung von Arabien“, dem eine mehrbändige Ausgabe folgte. Die Aufzeichnungen seines Kollegen Forsskål hatte Niebuhr gleich nach dessen Tod nach Kopenhagen geschickt und zitierte ihn deshalb in seinem Bericht nur aus der Erinnerung. Sein primär philologisches Interesse galt dabei der Identifizierung von Tieren oder Pflanzen, deren arabische Namen bekannt waren, und weniger der naturkundlichen Beschreibung der Tiere. 1775 publizierte er jedoch die lateinischen Originaltexte, die Peter Forsskål verfasst hatte, und im Jahr darauf wurden auch die zugehörigen Zeichnungen gedruckt.

Zygophyllum desertorum, nach Forskål 1776, Tafel 11 (Digitalisat der SUB)

Weiterlesen

Historische Spuren in der Mauer am Leinekanal

Wenn man von der Brücke bei der Stockleffmühle aus auf die Mauer am Leinekanal blickt, sieht man historisches Mauerwerk aus Kalkstein und einzelnen Sandsteinquadern, das einiges von der Geschichte des Waageplatzes verraten kann. Gleich nördlich der Fußgängerbrücke erkennt man einige Quader, die eine senkrechte Kante bilden. Hier endete einst das Brauhaus, das um 1735 auf dem Platz errichtet worden war. Es enthielt zwei Räume mit Braukesseln (Bütten) sowie an den Schmalseiten je einen Keller zum Kühlen des Bieres. Da sich herausstellte, dass die beiden Räume jeweils für sich zu beengt waren, wurde bald die Trennwand entfernt und eine mittige Braupfanne mit Abzugshaube eingebaut.

Aufriss der Mauer am Leinekanal (nicht verzerrungsfrei) mit dem Umriss des ehemaligen Brauhauses (grau, gespiegelt Ansicht vom Waageplatz her). A: Fußgängerbrücke, B: Rampe, C: Rohr (ehemalige Kuhleine), D: Mauerecke, E: vermauerte Öffnungen.

Modell des Waageplatzes mit Rekonstruktion des Brauhauses mit dem Grundriss des Nebengebäudes südlich davon und dem Standort der Hauptwache.

Weiterlesen

Wenn die Synagoge wieder auftaucht

Die Synagoge war neben der Staatsanwaltschaft bis 1938 das beherrschende Gebäude im Maschviertel: Zum Synagogenplatz präsentierte sich eine hohe Backsteinwand mit großen Rundbogenfenstern und lisenengegliederter Fläche, während zur Oberen Masch zwei schlanke, fast 20 Meter hohe, oben achteckige Türme aufragten. Zur Unteren Masch Straße hin wirkte das Gebäude bescheidener, eher wie ein „normales“ Wohnhaus. Man mag zunächst denken, die Synagoge habe direkt auf dem Platz gestanden, also an der Stelle des Mahnmals, aber sie erhob sich südlich davon, im Bereich des Hauses Obere Masch Straße 10 und dem Eckhaus zur Unteren Masch Straße. Bei Kanalbauarbeiten kamen Anfang Juli 2019 vor dem Eingang zum Eckhaus (Nr. 13) überraschend alte Mauerreste zum Vorschein, die mit der Synagoge in Verbindung zu bringen sind. In einem Stichgraben für einen Hausanschluss der Abwasserleitung, der 4-6 m von der Straße entfernt die Fassade erreichte, war eine schmale Mauer aus Kalkbruchsteinen mit weichem Mörtel zu sehen. Sie verlief 0,65-0,85 m von der Hauswand entfernt in Ost-West-Richtung und war knapp 0,5 m breit. Zur Synagoge selbst wird sie kaum gehört haben; vielmehr dürfte es sich um das Fundament der Gartenmauer um das Synagogengrundstück handeln.

Hinter der Baggerschaufel werden die Fundamente der Synagogenmauer sichtbar

Ansicht der Synagoge vor der Zerstörung von Nordosten; der rote Pfeil zeigt die Stelle des Fundaments an, das 2019 zum Vorschein kam.

Weiterlesen

Leerstelle mit Vergangenheit: Der Standort des ehemaligen Reformierten Studienhauses

Nördlich des Waageplatzes befindet sich ein kleiner Parkplatz, der den meisten Passanten nicht besonders auffällt. Dabei ist dieser Freiraum sowohl für sich historisch interessant, wie auch das Gebäude, das dort bis 1964 stand: das „Reformierte Studienhaus“.

Als Leerfläche zeugt das Areal von den zeitweise großen Freiflächen, die sich durch den Abriss vieler alter Häuser in der Innenstadt in den späten 1960er und 70er Jahren ergaben. Diese Flächen wurden zum Teil erst viele Jahre später wieder bebaut, wenn sich die Stadt, die Investoren und nicht zuletzt die Bürgerinitiativen geeinigt hatten, die sich gegen den Kahlschlag und den rücksichtslosen modernen Neubau wehrten. Der Abriss des Reformierten Studienhauses stand fast am Anfang dieser beispiellosen Umbauwut, der erhebliche Teile der Innenstadt zum Opfer fielen. Die Stadt war als eines von sechs Oberzentren in Niedersachsen vorgesehen, und dafür musste viel gebaut werden. Nach dem „Generalverkehrsplan“ des Bauingenieurs Johannes Schlums von der TU Hannover sollte die mittelalterliche, enge Innenstadt dem modernen Verkehr geöffnet und „erneuert“ werden. Eine Ringstraße, die von der Bürgerstraße über die Berliner Straße bis in den Nikolausberger Weg reichte, leitet seitdem die Autos um die Stadt herum. Mehrspurige Einfahrttrichter führen in die Außenbezirke der Altstadt, wo Parkhäuser und große Parkplätze Stellflächen für Beschäftigte und Ladenbummler bieten. Gebaut wurden die Parkhäuser am Groner Tor und am Geismar Tor, und dazu wurde ein großer Parkplatz am Geismar Tor etabliert. Nach dem Abriss der Häuser am Weender Tor und an der Reitstallstraße diente die Brachfläche dort lange als Parkplatz, bevor man wieder Wohn- und Geschäftshäuser errichtete. Umsatzfördernde Großkaufhäuser sollten die kleinteilige Ladenstruktur ersetzen bzw. ergänzen, die Göttingen bis dahin geprägt hatte.

Weiterlesen

Blumentag – auch im Maschviertel

Die historische Aufnahme von der Goetheallee beim Graetzelhaus, auf der ein Karussell bei der Brücke über den Leinekanal zu sehen ist, entstand am sogenannten „Margeritentag“, dem 9. Juli 1911.

Foto: Stadtarchiv Göttingen

An diesem Tag war die Stadt festlich mit Blumengirlanden geschmückt, es gab einen Umzug durch die Straßen der Stadt, in denen sich tausende Menschen drängelten. Der Abend wurde mit einem Konzert und Tanz im „Stadtpark“ abgeschlossen; dazu gab es ein Feuerwerk. Während des ganzen Tages liefen zweihundert bis dreihundert „Blumenmädchen“ durch die Stadt und verteilten gegen eine Spende künstliche Margeriten sowie Postkarten. Der Erlös sollte der „Kinderwohlfahrt“ zugute kommen, also Kinderpflegevereinen, Ferienkolonien und Walderholungsstätten sowie ganz besonders Kinderkliniken. Die Käufer der Blumen steckten sich diese in die Knopflöcher oder zwischen die Schnürsenkel, so dass alle Bürger der Stadt an diesem Tag mit Blumen geschmückt waren. Die Blumenmädchen kamen aus den bürgerlichen Familien und zogen sich zur Feier des Tages die schönsten Kleider an. Weiterlesen