Archiv der Kategorie: Geschichte(n) aus dem Waageplatz-Viertel

Wir sammeln hier Erzählungen und historische Geschichte(n) aus unserem Viertel.

Volksheim, der Ursprung des Gewerkschaftshauses in der OM10

Unsere Nachbarin und Gesprächpartnerin für ein Zeitzeuginnen Gespräch war Gewerkschaftlerin und erwähnte den einen oder anderen Besuch im Gewerkschaftshaus Obere-Marsch-Str. 10. Für mich blieb die Frage offen, ob das Haus eine Bedeutung für unsere Nachbarschaft hatte. Um dem auf die Spur zu gehen, hatten wir bei unserem Besuch im Stadtarchiv auch nach Quellen zur OM10 gebeten. In einem anderen Gespräch erwähnte ein Nachbar das „Volksheim“, in dessen Nachfolge das Gewerkschaftshaus stand. So war ich hoch erfreut, als ich in dem Buch „Göttingen ohne Gänseliesel – Texte und Bilder zur Stadtgeschichte“ auf einen ausführlichen Artikel zur Geschichte des Volksheims stieß:

Die Gewerkschaftsbewegung in Göttingen hatte keine guten Voraussetzungen. Wie heute war Göttingen auch im 19ten Jahrhundert eine Universitätsstadt ohne große Industrie. Unter den Angestellten und Beamten waren Gewerkschaftsmitglieder zu Beginn des Jahrhunderts selten, und somit waren auch die finanziellen Mittel begrenzt. Um sich zu treffen, waren die Arbeitenden auf die Gunst der Wirte angewiesen. In den Kneipen wurden Lesungen und eine eigene Bibliothek organisiert, es wurde sich politisch gestritten und Feste wurden gefeiert. Das Anmieten der “Kaiserhalle”, die heutige “Alte Mensa” am Wilhemlsplatz, wurde als Glücksfall gesehen. Neben der Nutzung des Saals konnten dort auch einige Büroräume eingerichtet werden. Doch für die ca. 20 verschiedenen freien Gewerkschaften war der Platz nicht ausreichend. Der Traum von einem eigenen Haus entstand. Nach dem ersten Weltkrieg und den mehr oder weniger erfolgreichen Revolutionen stieg die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder auf ein dreifaches. Sowohl um sich zu treffen als auch, um diese Organisationen zu verwalten und sich gegenseitig zu schulen, wurde es notwendig, ein eigenes Gebäude zu haben, wenn möglich, eines zu kaufen. Weiterlesen

Zeitzeuginnenbericht zum Brand der Synagoge in den Maschstraßen 1938

Als die Synagoge einem Brand zum Opfer fiel war das Jahr 1938, mein Mann war da 8 Jahre alt. Er hat mir erzählt, dass er immer die Männer mit Kippa oder schwarzen hohen Hüten und den hervorguckenden Locken gesehen hat, wenn diese am Haus vorbeikamen. Die Eltern haben ihm erklärt, das wäre eine Tracht die diese Männer tragen würden. Über den Brand wurde von den Eltern erklärt, da war ein Brandstifter am Werk. Sicher hat es auch hierüber einen Zeitungsbericht gegeben, aber als gerade eingeschultes Kind, hatte man zu der Zeit noch kein Interesse bzw. auch kein Radio um so etwas verfolgen.

Mein Mann hatte etliche jüdische Schulkameraden und einen ganz besonderen Schulfreund, über diesen hat er berichtet. Die Schulstunde (Lutherschule) hatte schon begonnen, da kam der Freund mit geröteten Augen in die Klasse und wollte sich für seine Verspätung entschuldigen. Der Klassenlehrer, Herr Albrecht, hat sich zur Tafel gedreht und mit brüchiger Stimme gesagt: Du musst jetzt leider wieder nach Hause gehen, Du darfst nicht mehr in unserer Klasse bleiben, die Eltern bekommen Bescheid. Dieser Freund hat dann nochmal fürchterlich an zu weinen gefangen, in der Klasse wäre es totenstill gewesen, jedoch Herr Albrecht hat dann ohne Kommentar den Unterricht fortgesetzt. Durch Fragen und erzählen in der Familie, wurde erklärt, dass Leute mit einem anderen Glauben jetzt an einer Stelle gesammelt würden, weil dieser Glauben und die Lebensführung nicht in das Leben von Deutschland passen könnte.

Leider fällt mir im Moment nicht der Name des besagten Freundes ein, ich weiß nur, dass die Jungen sich aus Holz Seifenkistenauto gebaut hatten und dann den Wall als Abfahrtstart usw. benutzt haben, da gab es ja auch kaum Autos.

Eine der wenigen (Beinahe-)Zeitzeugen aus den Maschstraßen erzählt..

Die Masch-Straßen um 1945

Die Masch-Straßen wurden in Göttingen vergleichsweise stark zerstört, aber offenbar kamen nur wenige Menschen zu schaden: Beim Gebhards Hotel gab es im Wall einen Bunker, in den sich die meisten Bewohner retteten. Luftschutzkeller wie in anderen Stadtviertel gab es nicht, weil die Häuser in den Masch-Straßen durch den feuchten Untergrund nicht unterkellert waren. Mehrere Erdbunker befanden sich beim Bahnhof, für die Passagiere von Zügen, die keine großen Bunker mehr erreichen konnten. Sie waren allerdings nicht so sicher. Eine der wenigen (Beinahe-)Zeitzeugen der Bombardierung der Maschstraßen, Helga Schmidt, heiratete zwar erst 1953 in die Masch ein, kann aber noch die Erlebnisse ihres Mannes Herbert Schmidt berichten. Er war trotz seines jungen Alters (geboren 1930) Luftschutzwart und überlebte den Angriff nur knapp. Er lief durch die Berliner Straße, als er sah, wie die Bomber ihre verderbliche Last ausklinkten. Den Bunker erreichte er nicht mehr, sondern ging an der Wallmauer in Deckung. Durch die Wirkung der Bomben wurde er beinahe vom Schutt begraben. Seine Eltern überstanden den Angriff in dem Bunker im Wall. Helga Schmidt kennt die Masch-Straße nur, wie sie in Trümmern lag. Ihr Sohn fuhr am Wall-Aufgang damals Schlitten, wie sie sich erinnert. Ab 1955 wurden die Häuser wieder aufgebaut. Die Familie H., die in der Nr. 16 wohnte, räumte vorher schon den Schutt etwas beiseite; die Hinterhäuser waren ja teilweise noch bewohnbar. Mehrere der Häuser stehen noch heute, etwa hinter Haus Nr. 14, 20 und 21. Auf der gegenüber liegenden Seite steht ebenfalls noch ein Hinterhaus. Die Häuser bestehen meist aus Fachwerk und umgeben einen schmalen Hof. Ursprünglich enthielten sie Werkstätten und Ställe. Im Norden der Unteren Masch waren die niedrigen, ein- bis zweigeschossigen Vorderhäuser offenbar schon im späten 19. bis frühen 20. Jahrhundert durch mehrstöckige, hohe Neubauten ersetzt worden. Die Eltern von Herbert Schmidt waren Schuster; auf alten Fotos ist noch das Ladenschild am Haus Nr. 1 zu erkennen. Sie gehörten zur ursprünglichen Verband der Maschgemeinde, die 1938 aufgelöst wurde. Die Gemeinde war aus dem Dorf Burggrone entstanden, dessen Bewohner im 14. Jahrhundert an den Hasengraben und Mitte des 15. Jahrhunderts an die Maschstraßen umgesiedelt worden waren. Der Gemeindeverband, eine sogenannte Realgemeinde, besaß zuletzt Wälder und Wiesen zwischen dem Hagenweg und Knutbühren, die meist verpachtet waren. Die Einkünfte wurden unter den Mitgliedern der Gemeinde verteilt. Als letztes stieß 1937 der Malermeister Garbode zu dem Verband, nachdem er die Aufnahmegebühr bezahlt hatte. Die Zugehörigkeit zu der Gemeinde war an den Besitz bestimmter Häuser gebunden: Kaufte jemand ein solches Haus, konnte er Teilhaber in dem Verband werden. – Hinten stieß das Haus der Schmidts gegen eine Schlachterei in der Goetheallee. Helga Schmidt erinnert sich noch, wie der Schlachter mit seinem Hundegespann durch die Masch-Straße fuhr, da der Schlachthof im Bereich des heutigen Landgerichts stand.

Stand: 16.6.2022 – Dr. Thomas Küntzel M.A.