An: Oberst Dr. Dean Pallant
Territorial Commander Deutschland, Köln
Offener Brief
Eskalation durch Herrn S. stoppen – den Bewohnern eine Perspektive geben
Sehr geehrter Herr Pallant,
wir hoffen, Sie haben Verständnis für unseren Schritt, uns in einer Notlage direkt an Sie zu wenden.
Als organisierte und breit vernetzte Nachbarschaft in der nördlichen Innenstadt von Göttingen verfolgen wir seit Jahren besorgt die Entwicklung um die Wohnungslosenunterkunft der Heilsarmee in der Untere-Masch-Straße 13b. Der Stadt Göttingen als Eigentümerin und in der Notübernachtung Belegerin des Hauses sowie Ihnen als Träger war es nicht gelungen, die sich immer weiter zuspitzende bauliche und damit fachliche Krise in der Versorgung der in Ihrer Einrichtung lebenden Menschen abzuwenden. Eine passende alternative Immobilie für das sehr erfolgreich von der bisherigen Leiterin Frau Gulde umgesetzte und in Göttingen geschätzte Konzept wurde nicht realisiert. Am 26.11.24 wurde Frau Gulde fristlos gekündigt. Der dafür angereiste Herr S. hat mit Helfer:innen die Leitung der Unterkunft übernommen und das Konzept geändert.
Eskalation seit dem 26.11. durch Herrn S.
Mit der überfallartigen Übernahme der Einrichtung am 26.11.24 durch Ihren Mitarbeiter Herrn S. ist die Situation nun in einer Weise eskaliert, die für uns unbegreiflich ist:
- Herr S. missachtet fachliche und gesetzliche Standards in der Versorgung der Bewohner,
- Herr S. lügt ganz offensichtlich, droht und trickst, um seine Interessen durchzusetzen,
- Herr S. verschließt seine Augen vor der durch ihn verursachten Destabilisierung von Bewohnern,
- Herr S. stellt seine Vorstellungen über das Wohlergehen unserer Nachbarn.
Wir haben den Eindruck gewonnen, dass Herr S. und seine Helfer:innen ihrer Aufgabe hier in Göttingen nicht gewachsen sind, was wir unten begründen werden. Darüber hinaus stellen wir fest, dass wir kein Vertrauen mehr in die Versorgung unserer Mitbürger durch die Heilsarmee haben. Inwiefern Herr S. durch sein Handeln das Ansehen der Heilsarmee auch überregional beschädigt hat, können wir nicht ermessen.
Plätze in Göttinger Hand und damit Bewohnern wieder eine Perspektive geben
Die Hilfestrukturen bei den niedrigschwelligen Einrichtungen bei uns in Göttingen sind stark und miteinander verbunden. Grundsätzlich können wir als Zivilgesellschaft in Göttingen Lösungen finden. Wir trauen es der Stadt Göttingen zu, die 16 stationären Plätze für Wohnungslose und die fünf Notbetten sehr kurzfristig in den nächsten Wochen von der Heilsarmee zu übernehmen, um weiteren Schaden abzuwenden und aus dieser Übergangslösung eine zukunftsfähige Perspektive für das bisherige Konzept zu erarbeiten. Wir sehen dies als den einzigen realistischen und notwendigen Weg für die Bewohner.
Wir bitten Sie eindringlich, Verantwortung für die Lage in Göttingen zu übernehmen. Geben Sie uns und den gewachsenen und qualifizierten Strukturen hier vor Ort die Chance, eine bedarfsgerechte Versorgung der Bewohner wieder sicherzustellen und langfristig abzusichern. Dies bedeutet, dass sich die Heilsarmee als Trägerin aus Göttingen zurückzieht.
Begründung
Im Folgenden fassen wir Vorgänge, Missstände und Einschätzungen seit dem 26.11.24 aus unserer Sicht zusammen. Bitte nehmen Sie sich den Moment, die Lage der Bewohner, Mitarbeitenden und der bisherigen Leiterin auf den verschiedenen Ebenen nachzuvollziehen, wie sie sich durch das Handeln von Herrn S. ergeben haben:
Gravierende Kompetenzdefizite von Herrn S.
Grundlegende Versorgung ist nicht gewährleistet:
- Die Menschen sind in einem Haus mit Notausgang, der von draußen jedoch im Notfall nicht zu öffnen ist. Es braucht eine verlässlich geregelte Nachtbereitschaft, die auch entsprechend vergütet werden muss. Seit dem 26.11.24 fehlt eine klare Kommunikation darüber mit den Bewohnern und Mitarbeitenden. In einzelnen Nächten wurde die konzeptionelle Nachtbereitschaft nicht sichergestellt.
- Die Notübernachtung in der aktuellen Immobilie wurde komplett geschlossen, weil Herr S. in das Zimmer seine Helfer einquartiert. Auch Neuaufnahmen im stationären Bereich sind untersagt. Immer wieder stehen Menschen vor der Tür, teilweise schon mit Übernachtungsschein und werden weggeschickt. Die ausstellenden Stellen wie Polizei und Bahnhofsmission sind nicht informiert worden. Es ist Winter und Menschen sind maßgeblich auf Notfallübernachtungen angewiesen.
- Die sozialarbeiterische Betreuung ist nicht sichergestellt, der bisherige Sozialdienst ist nicht mehr vor Ort. Die zeitweise aus anderen Einrichtungen der Heilsarmee eingesetzten Sozialarbeiter:innen sind weder eingearbeitet, noch gibt es die notwendige Vertrauensbasis, um mit den Bewohnern überhaupt ins Gespräch zu kommen.
Finanzielle Absicherung ist nicht gewährleistet:
- Bis Jahresende sind mehr als die Hälfte aller Kostenanerkenntnisse der Bewohner ausgelaufen. Die nötigen Hilfepläne sind nicht geschrieben worden, die dafür nötigen Gespräche mit den Bewohnern wurden bisher nicht geführt.
- Bewohner bekommen teilweise ihre eigenen Gelder (Erspartes) nicht ausgezahlt bzw. nur Abschläge.
Medizinische Betreuung ist unzureichend gewährleistet:
- Ein Bewohner wurde in ein Pflegeheim zur Kurzzeitpflege gebracht, weil Herr S. die bisherige nächtliche Bereitschaft nicht sicherstellen konnte. Es erfolgte unrechtmäßig die sofortige Abmeldung beim Sozialhilfeträger ohne Information an den Bewohner, wodurch der Bewohner seinen Eigenanteil an das Pflegeheim nicht zahlen kann und auch für Dezember derzeit kein Taschengeld erhalten hat.
- Die Medikamenteneinteilung durch den beauftragten Pflegedienst ist fehlerhaft, berichten mehrere Bewohner. Dies hat zur Folge, dass Bewohner ihre zu einem einigermaßen stabilen Alltag dringend benötigten Medikamente nicht wie verordnet einnehmen können.
Transparente Kommunikation ist nicht gewährleistet:
- Die gesetzlichen Betreuer wurden weder über das Ausscheiden der bisherigen Leiterin Frau Gulde noch über die Umzugspläne im neuen Jahr unterrichtet.
Standards der Arbeitsorganisation und des Datenschutzes sind nicht gewährleistet:
- Mit der Erstellung der Dienstpläne zeigt sich Herr S. überfordert. Die Mitarbeiter:innen müssen sich selbst organisieren, ohne ihren Überstundenstatus zu kennen. Bisher wurde der Dienstplan durch die Leitung geschrieben, Überstunden, Urlaubswünsche und Sonderwünsche wurden berücksichtigt.
- Die Mitnahme der elektronischen Bewohnerakten auf einer externen Festplatte durch Herrn S. vor einigen Wochen verstößt gegen die Datenschutzgrundverordnung.
Patriarchaler Führungsstil von Herrn S.
Mindestmaß an Achtung und Korrektheit von Behauptungen sind nicht gewährleistet:
- Herr S. spricht über die bisherige Leiterin Frau Gulde wiederholt bei Bewohnern, Mitarbeiter:innen, aber auch externen Dritten schlecht.
- Herr S. verbreitet Falschbehauptungen:
– Frau Gulde habe die Einrichtung nicht kostendeckend geführt. (Falschbehauptung)
– Herr S. habe Frau Gulde vor sich selbst schützen müssen, weil sie 24 Stunden gearbeitet habe und das hätte die Heilsarmee nie erlaubt, Frau Gulde hätte ihr eigenes Konzept umgesetzt. (Falschbehauptung s. Konzept Homepage)
– Frau Gulde hätte sich geweigert, vor zwei Jahren die Waschküche in die Garage zu verlegen, die doch baulich völlig in Ordnung sei. (Falschbehauptung s. Zustand Garage und Entscheidung Stadt Göttingen)
– Die Familie Gulde hätte sich seit drei Jahren geweigert, aus ihrer Dienstwohnung auszuziehen. (Falschbehauptung)
– Frau Gulde habe alle von Seiten der Heilsarmee und Stadt vorgeschlagenen neuen Gebäude immer abgelehnt. (Falschbehauptung)
– Frau Gulde hätte Bewohner in Gefahr gebracht, weil sie die Tabletten gestellt und schwer kranken Menschen im Wohnheim ein Zuhause gegeben habe. (Falschbehauptung)
– Der Umzug in den Neuer Weg 1 müsse so schnell passieren, weil die Stadt das Haus wegen der Baumängel und der davon ausgehenden Gefahr zum 01.02.25 räumen würde. (Falschbehauptung)
- Herr S. manipuliert die Bewohner mit falschen Versprechungen:
– Die Bewohner hätten am anvisierten neuen Standort Neuer Weg 1 die Möglichkeit der Selbstversorgung. Dies hat Herr S. kurze Zeit später und bei anderer Gelegenheit widerrufen, jedoch nicht in gleicher Weise, transparent und gegenüber allen Bewohnern kommuniziert.
– Es gäbe Angebote, in eine andere Heilsarmee-Einrichtung wechseln zu können oder die Stadt helfe bei der Wohnungssuche, wenn jemand ausziehen wolle. Dies stellte sich als nur schwer umsetzbar bzw. eine weitere Falschbehauptung heraus.
Drohende folgenschwere Fehleinschätzungen von Herrn S.
Folgende Szenarien der endgültigen Eskalation sehen wir – offenbar im Gegensatz zu Herrn S. – als realistisch an. Im Interesse der Bewohner gilt es, diese unbedingt zu verhindern. Zur Zeit stellen sie sich noch als offene Fragen dar:
- Baldige Zahlungsunfähigkeit der Einrichtung aufgrund der ausgelaufenen Kostenanerkenntnisse der Bewohner.
- Verfestigte Verunsicherung aller durch intransparente Strukturen und Zuständigkeiten, fehlende und widersprüchliche Kommunikation, Druck ausübende persönliche Gespräche, diverse unhaltbare mündliche Versprechungen (s.o.).
- Die schwer erarbeitete Vertrauensbasis zwischen Bewohnern und dem Hilfesystem ist bereits jetzt zerstört.
- Psychische Instabilität bei Bewohnern und Mitarbeitenden und schwerwiegende Folgen durch zunehmenden Alkoholkonsum.
- Im Neuen Weg 1 absehbar und auch jetzt schon führt das geänderte Konzept dazu, dass Bewohner nicht mehr ihren Bedarfen entsprechend ausreichend versorgt sind.
- Dürfen weiterhin Bewohner, die Medikamente unter Aufsicht nehmen müssen, in der Heilsarmee wohnen oder werden diese auch weggebracht?
- Im Neuen Weg 1 mussten Wohnungslose, die sich vom Maschmühlenweg 139d durch gutes Verhalten die bessere Unterbringung verdient hatten, jetzt wieder zurückverlegt werden. Die Frauen sind vorübergehend in den Neuen Weg 3 gelegt worden. Wie soll das Miteinander in unmittelbarer Nachbarschaft gut werden, wenn die eine Personengruppe durch die Bewohner der Heilsarmee verdrängt wurde?
Auch aus der Groner Landstraße 28 wurde wegen Umbauplänen bereits die Gruppe von geflüchteten Menschen verdrängt und das Haus geräumt. Verschiedene vulnerable Gruppen werden gegeneinander ausgespielt! - Die Wohnumgebung am anvisierten neuen Standort ist sehr viel schlechter als am jetzigen Standort. Der Weg in die Stadt, auch zu Ärzten, ist für einige Bewohner nicht mehr zu bewältigen. Die teils gewachsenen und Halt gebenden Nachbarschaftsbeziehungen würden zerrissen.
- Die ersten Spender, die auch zu Weihnachten z.B. Päckchen für die Bewohner gepackt haben, haben sich vor dem Hintergrund der Eskalation zurückgezogen. Ein Einbruch bei den Geldspenden ist absehbar, wenn die Öffentlichkeitsarbeit und bereits bestehende Termine nicht fortgesetzt werden.
- Was passiert mit den vorhandenen Mitarbeitenden, die teils keine beruflichen Qualifikationen, stattdessen aber Handicaps und mangelnde Belastbarkeit mitbringen? Die bisherigen Leiterin Frau Gulde hat darauf Rücksicht genommen und gemeinsam Lösungen entwickelt – wird Herr S. das auch tun? Wird er Rücksicht nehmen z.B. auf längere Arbeitswege?
- Das Ausscheiden der bisherigen Leiterin Frau Gulde wurde nicht ehrlich kommuniziert. Wer wird sich noch – in letzter Konsequenz von den Bewohnern – abwenden, wenn die Vorgänge bekannt werden?
- Nicht zuletzt: Wo soll Familie Gulde demnächst wohnen? Wo bleibt die soziale Verantwortung des Arbeitgebers Heilsarmee? Wurde über den Bedarf der Familie gesprochen und welche Unterstützung wurde angeboten?
Nach unserer Einschätzung kann das von Herrn S. durchgesetzte geänderte Konzept die bisherige Zielgruppe – unsere konkreten Nachbarn mit ihren besonderen Bedarfen – nicht auffangen.
Dies war mit dem bisherigen, familiären Leitungsstil jedoch möglich. Auch wenn Sie diese Besonderheit, die sicherlich einmal ein Merkmal der Heilsarmee-Unterkünfte war, heute nicht mehr als modern bewerten und daher abschaffen wollen: Unseren Nachbarn hier in Göttingen mit ihren ganz besonderen sozialen Schwierigkeiten hat genau dieser Rahmen professionelle Versorgung, Halt und Zuversicht gegeben.
Wir wollen dies wieder ermöglichen und sind bereit unseren Teil beizutragen. Es liegt nun an Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen,
Forum Waageplatz-Viertel