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Die Cola-Fabrik im Stadtgraben: Zur „Vorgeschichte“ des Grotefend-Areals

Überlagerung eines modernen Stadtplans (Deutsche Grundkarte um 1990, auf: Geobasis.niedersachsen.de) mit einem Plan der Stadt Göttingen um 1750 von Matthäus Seutter (Niedersächsisches Landesarchiv Hannover, Kartensammlung, 22 d Göttingen 8 pm). Gestrichelt: Grotefend-Areal.

Das ehemalige Grotefend-Areal, auf dem früher Cola und andere Limonaden abgefüllt wurden, befindet sich genau im Bereich des alten Stadtgrabens, der weiter östlich, hinter dem Auditorium, noch gut erhalten geblieben ist. Auf alten Plänen der Stadt sind die Festungswerke aus dem 17./18. Jahrhundert genau eingezeichnet, so dass man sie in eine moderne Karte übertragen kann. Westlich des Weender Tores ist z.T. ein Vorwall zu erkennen, eine sogenannte “Fausse-Braie”, wie sie in der französischen Fachsprache bezeichnet wird. Wesentliche Anregungen zum Festungsbau kamen im 17. Jahrhundert aus Frankreich, vor allem von dem Baumeister Vauban. Die Fausse-Braie ist allerdings typisch für die “niederländische Manier”. Danach verlief vor dem Hauptwall ein niedriger Vorwall, von dem aus die äußere Grabenflanke unter Beschuss genommen werden konnte. Dort verlief ebenfalls ein Weg, der die Bastionen im Vorfeld des Stadtgrabens miteinander verband. Diese spitzwinkligen Schanzanlagen schützten die Tore und den ein- und den Ausfluss des Leinekanals. Zum Hainberg, von dem aus der Stadt am meisten Gefahr drohte, hatte man drei zusätzliche Bastionen angelegt: eine an der Ecke des Stadtwalles zum Nikolausberger Weg (hier befindet sich jetzt ein Teil des Botanischen Gartens mit verschiedener Gebirgsflora), eine weitere im Bereich des Städtischen Theaters und schließlich ein Ravelin beim Schwänchenteich. Der Umriss dieser Bastion ist durch den Albanifriedhof heute noch zu erahnen. Etliche kleinere Bastionen lagen zwischen den großen Ravelins. Die großen Ravelins zeichneten sich durch einen zusätzlichen, spitzwinkligen Graben aus. Der Abschnitt zwischen dem Weender Tor und dem Ausfluss des Leinekanals scheint jedoch die einzige Stelle gewesen zu sein, an der es eine Fausse-Braie gab. Sie verfügte sogar über eine kleine Bastion vor dem Turm in der Nähe des Leinekanals. Der Stadtgraben war hier also deutlich enger als in den anderen Abschnitten.

Querschnitt durch eine Festung. A: Hauptwall, B: Fausse Braye, C: Graben, D: gedeckter Weg, E: Glacis. Pfeil: Schussbahn der Kanonen auf dem Hauptwall.

Im 17. Jahrhundert hatten die Kanonen eine beträchtliche Schusskraft erlangt, der die mittelalterlichen Mauern nicht standhalten konnten. Man schüttete deshalb Erdwälle auf, die die Geschützkugeln “schluckten”. Bei der Erneuerung der altmodischen Befestigungstechniken musste man zudem die weiträumigen Schussfelder und -Bahnen der Geschütze berücksichtigten. Die spitzwinkligen Bastionen sollten “tote Winkel” abdecken, in denen sich der Feind mit Schützengräben an die Stadt heranarbeiten konnte. Zuletzt wurde im Siebenjährigen Krieg an den Festungswerken gearbeitet, wie Einträge in einem Tagebuch belegen, das der Orientalist Andreas Georg Wähner verfasste. Im November 1761 erwähnt er, dass die Franzosen eine Lünette “in des H(err)n D(octor) Jaeps Garten” vor dem Weender Tor aufwarfen (Wähner, bearb. Dahmen, S. 201). Lünetten waren kleine, selbständige Festungswerke, die vor dem Graben lagen und oft nach hinten offen waren. Die kurze Angabe ist auch deshalb von Bedeutung, weil sich zum Ausbau der Festungsanlagen im 17./18. Jahrhundert ansonsten nur wenig Quellen erhalten haben. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges wurden die Festungswerke ab 1762 abgetragen und ein Flanierweg auf dem Wall angelegt. Der Graben erhielt sich stellenweise bis in das 20. Jahrhundert hinein (etwa im Bereich der Berliner Straße), aber heute ist er bis auf den Botanischen Garten und den Schwänchenteich zugefüllt worden.

Andreas Georg Wähner, Tagebuch aus dem Siebenjährigen Krieg, bearb. Von Sigrid Dahmen. Quellen zur Geschichte der Stadt Göttingen 2 (Göttingen 2012).

Geheimnisvolle Mauer im Wall

Mauerstück im Wall hinter den Gärten Untere Masch Straße 19/20

An der Innenseite des Stadtwalles schaut hinter den Gärten Untere Masch Straße 19/20 ein kurzes Mäuerchen aus dem Hang. Es ist etwa 1 m lang, ragt knapp 30 cm aus dem Boden und besteht aus zwei Lagen von körnigen Kunststeinen. Die Steine sind je 11 cm hoch und 25 cm breit. Die untere Lage reicht noch etwa 20 cm weiter nach Nordosten. Daneben steckt ein Muschelkalkstein in der Erde, der leicht schräg zu dem Mäuerchen ausgerichtet ist. Auf der gegenüberliegenden Seite des Walls, also an der Berliner Straße, ragen zwei Stützpfeiler aus dem Mauerwerk. Dazwischen ist ein vermauerter, schmaler Eingang zu sehen. Unten gibt es einen verschlossenen Stahlrahmen. Die Stützpfeiler sind die Reste eines Rundturmes, wie sie in unregelmäßigen Abständen rings um den Wall platziert waren. Ein solcher Turm hat sich am Schwänchenteich noch erhalten. Der Bismackturm bei der Odilienmühle ist ein besonders großer Turm mit polygonalem Umriss. Der Turm an der Berliner Straße hatte einen inneren Durchmesser von 5,25 m und eine Gesamtgröße von 9 m, bei knapp 1,90 m dicken Mauern. Durch den Wall führte von der Maschstraße her ehemals ein Gang, um Schießpulver und Munition in den Turm bringen zu können. Zwei solche Gänge dienen noch im Botanischen Garten als Verbindungsweg zwischen den Gewächshäusern an der Unteren Karspüle und dem Garten im einstigen Stadtgraben. Der Turm an der Maschstraße sicherte die nordwestliche Ecke des äußeren Stadtwalles. An der geraden Kurtine (Mauer zwischen zwei Bastionen) bis zum Leinekanal gab es zwei weitere Türme. Die Maueransätze des westlichen Zwischenturmes sind noch hinter der Imbissbude unter dem Efeu zu entdecken. Die Pläne aus dem 18. Jahrhundert zeigen, dass von der Höhe des Walles ein Weg zu den Türmen führte: er ermöglichte den Zugang in das Obergeschoss bzw. das Dachgeschoss. Der Gang an der Unteren Masch Straße wurde offenbar im 20. Jahrhundert vermauert. Ein kleines Loch in dem Mauerwerk an der Berliner Straße verrät, warum: Der Gang dient als Unterschlupf für Fledermäuse, die natürlich nicht gestört werden sollen. Abends sieht man sie oft durch die Gärten fliegen.

Die Stadtmauer zur Berliner Straße zu. A: Stützpfeiler, B: vermauerter Durchgang, C: kleinteiliges Kalksteinmauerwerk (hinter dem Busch), D: Mauerwerk aus Sandsteinquadern und Kalksteinen.

Planskizze der Nordwestecke des Stadtwalles mit den Stützpfeilern (A) und dem vermauerten Durchgang (B, E); grün: Wall, C: kleinteiliges Kalksteinmauerwerk, D: Mauerwerk aus Sandsteinquadern und Kalksteinen.

Die Anfänge der äußeren Stadtbefestigung reichen in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurück. Zuvor stellte die innere Mauer, von der noch ein Turm in der Turmstraße aufrecht steht, die Altstadt. Vor den Toren hatten sich jedoch bald Vorstädte entwickelt; seit dem späten 13. Jahrhundert etwa im Bereich der Neustadt. Der Herzog und prominente Bürger wetteiferten hier um die Ansiedlung von Handwerkern, besonders Wollenwebern. Die herzogliche Neustadt wurde schließlich 1319 von der Stadt aufgekauft. Die Herzöge hatten zuvor offenbar versucht, eine offene, nur schwer zu verteidigende Einfahrt in die Stadt zu schaffen, wobei die Marktstraße von Sankt Gallen vermutlich als Vorbild diente. Der Trichter ist noch gut an der Kommende und der gegenüberliegenden Bauflucht der Groner-Tor-Straße zu erahnen. Der Ratsherr Heidenreich Bernhardi schob diesem Bemühen jedoch ein Riegel vor, indem er 1293 an der “Kuhleine” ein Hospital stiftete. Der Hof des Hospitals ragte etwa auf Höhe der Sparkasse weit in den geplanten Straßentrichter hinein; das Hauptgebäude erhob sich im Bereich des jetzigen Gehweges. Die neue Befestigung schloss außerdem das “Alte Dorf” an der Langen Geismarstraße und das “alte Weender Dorf” im Bereich der Unteren Karspüle mit ein.

Anfangs handelte es sich nur um einen kleinen Wallgraben, der später durch eine Mauer verstärkt wurde. Ab 1442-1463 wurde die Stadtbefestigung massiv ausgebaut. Damals bedrohten die Kroaten, die von der Soester Fehde heimkehrten, die Gebiete im südlichen Niedersachsen. Sie raubten und plünderten die Dörfer und kleineren Städte. Aber auch andere Konflikte bedrohten die Stadt. Zudem setzten sich in dieser Zeit zunehmend die Geschütze in der Kriegführung durch. Deshalb wurde der Wall erhöht, Geschütztürme mit Schießkammern errichtet und Torbollwerke angelegt. Von ihnen hat sich nichts erhalten, aber ihre Grundrisse sind überliefert. Vor den eigentlichen Toren befanden sich kleine Vorhöfe, durch die die Straße in einem geknickten Verlauf geführt wurde, damit man nicht geradewegs durch die Tore in die Stadt schießen konnte. Außerdem standen 20 Bergfriede im Verlauf des Walles. 1533-1577 wurde der Abschnitt zwischen der Angerstraße und dem Ausfluss des Leinekanals erneut verstärkt, wobei man sogar alte Grabsteine vermauerte. Damals fürchtete die Stadt, die 1529 zum protestantischen Glauben übergetreten war, von den katholischen Truppen etwa des Herzogs Heinrich des Jüngeren von Wolfenbüttel erstürmt zu werden. Diese Bauphasen sind auch an dem Turm in der Berliner Straße abzulesen. Das Mauerwerk an dem Tunnelausgang besteht aus großen Sandsteinquadern und Kalksteinen. Seitlich schließt sich ein kleinteiliges, sorgfältigeres Kalksteinmauerwerk an. Demnach wurde der Walldurchgang nachträglich eingebaut. Dabei verwendete man jedes Baumaterial, dessen man habhaft werden konnte – ob einer der großen Sandsteine einmal als Grabplatte gedient hatte?

Hans Reuther, Architektur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Dietrich Denecke/ Helga Maria Kühn, Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (Göttingen 1987), S. 530-570, bes. S. 562-569.

Ausschnitt aus dem Merianstich von 1641 mit dem Wallabschnitt zwischen Groner Tor und dem Ausfluss des Leinekanals in die Große Masch (links; Quelle: Wikipedia). Es sind nicht alle Türme abgebildet; der Eckturm sah aber wohl wie einer der beiden Türme rechts aus.

Gefängnisseelsorge in der alten JVA

„Justitia“, Kapitell am Portal des früheren Obergerichtsgebäudes.

Schon im 18. Jahrhundert, als die ersten großen Gefängnisse entstanden, erkannte man, dass Häftlinge in Gefängnissen nicht nur von der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollten. Vielmehr sei es geboten, sich nicht nur im Rahmen der „christlichen Liebestätigkeit“, sondern auch mit dem Blick auf ihre spätere Freilassung darum zu bemühen, ihnen eine Lebensperspektive zu bieten (z.B. John Howard und Elizabeth Fry in England, vgl. Brandt 1985, S. 21ff.). Theodor Fliedner begann im Rheinland 1825 damit, regelmäßig Gottesdienste in Gefängnissen abzuhalten. Er bemerkte dabei, dass viele Gefangene große Defizite in ihrer Schulbildung besaßen, und den Tag bei Karten- und Würfelspiel zubrachten. Er forderte, die Gefangenenhäuser sollten, statt „moralische Pestanstalten“ zu sein, der Besserung und Ausbildung der Häftlinge dienen, um sie vor dem Rückfall in die Kriminalität zu bewahren. Der Arzt Nikolaus Heinrich Julius aus Hamburg versuchte, die Ursachen der Kriminalität empirisch zu ergründen. Er sah in der industriellen Revolution die Gefahr, dass die familiären Strukturen, die den Menschen Halt gegeben hatten, durch den Fortschritt zerbrachen, und rücksichtsloses Profitstreben das Handeln bestimmte. Unter seiner Federführung wurden ab 1840 für Preußen die ersten Richtlinien für eine Gefängnisreform und die Gefangenenseelsorge entworfen. Auch im Königreich Hannover wurde die Seelsorge in den „Gefangenhäusern“ 1842 durch ein Gesetz geregelt (Kirchenkreisarchiv Göttingen, Stadtsuperintendentur, Akte A 341 II). Die Gerichte sollten demnach mit einem Geistlichen vereinbaren, dass dieser alle 14 Tage eine „Erbauungsstunde“ abhält, oder einzelne Gefangene auf Wunsch unabhängig davon aufsucht. Die „geistliche Pflege der Gefangenen“ sollte in ihnen eine „religiöse und moralisch gute Stimmung, Reue, Buße und Bekehrung“ hervorrufen und stärken, durfte sich aber nicht speziell auf den Verfahrensinhalt beziehen, außer, die Gefangenen gestanden ihnen wichtige Details. Die Priester sollten zudem „Erbauungsbücher“ organisieren, die die Gefangenen lesen konnten. Nach Bedarf konnte auch Unterricht in der „christlichen Religion und Sittenlehre“ erteilt werden. 1857 wurde die „Instruction, die christliche Seelsorge bei den in Gefangenhäusern verhafteten Personen betreffend“ noch einmal erneuert, auf die geltenden Gesetze abgestimmt und „thunlichst“ eine geistliche Pflege der Betroffenen eingefordert.

„Instruction“ zur Seelsorge in den Gefängnissen des Königreichs Hannover von 1857. Quelle: Kirchenkreisarchiv Göttingen, Stadtsup., A 341 II (Seelsorge 1817-1924).

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Exkursion der Geschichts-AG zum KZ Moringen

Das Torhaus in Moringen – Sitz der KZ-Gedenkstätte. Hier begann die Führung.

am 25.11.2023

Zu der Exkursion der Geschichts-AG sind neun Nachbar*innen mitgekommen.

Durch den Ort führte uns Annegrit Berghof von der „Lagergemeinschaft und Gedenkstätte KZ Moringen e.V.“. Bei kaltem Wind näherten wir uns in mehreren Etappen dem Baukomplex. Zunächst bot Annegrit beim Torhaus, dem Sitz der Gedenkstätte, eine allgemeine Einführung. Weitere Stationen befanden sich an der Ecke zur „Waisenmauer“, wo sich ehemals das Barackenlager befand, und bei der Anstaltskapelle. Im Vorraum der ehemaligen Kommanadantur, der heutigen Pflegeschule, befindet sich jetzt der Gedenkraum. An den Seiten lassen sich unter langen Tischplatten Schubladen mit Infotexten öffnen. Im Treppenhaus steht im ersten Stock ein großes Modell des Lagers im Maßstab 1:160 und das Modell einer Baracke, das die gedrängte Situation mit den vielen Mehretagenbetten und den eng bestuhlten Esstischen im äußeren Barackenlager illustriert. Aus einem Saal kann man dann in den Hof des Gebäudekomplexes blicken, der nicht öffentlich zugänglich ist. Das KZ bestand aus der „Kommandantur“ im ehemaligen Waisenhaus – einem großen, mehrstöckigen, barocken Steingebäude mit Außentreppe an der Fassade und einem Prunkportal – , sowie zwei hofseitigen Flügelbauten: Dem „Zellenbau“ im Norden, einem zweistöckigen Backsteinbau aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem die Männer untergebracht waren, und einem niedrigeren Gebäudekomplex im Süden, der die Wäscherei, Heizung und Werkstatt enthielt. An den „Zellenbau“ schloss sich nach Osten das etwas niedrigere „Frauenhaus“ an. Nördlich erstreckte sich das Barackenlager, das separat mit Stacheldraht und einem Hundzwinger umgeben war und von Wachtürmen aus kontrolliert wurde.

Modell des Konzentrationslagers Moringen im Treppenhaus der Pflegeschule. Das „Frauenhaus“ steht hinten rechts, links davon der große „Zellenbau“ (Aufnahme: Robin Wellendorf).

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Die Stockleffmühle – ein faszinierendes Denkmal der Mühlentechnik

Eingeschüchtert von der modernen Nachbarschaft, trotzt die Stockleffmühle am Leinekanal (noch) dem Zahn der Zeit. Das Nebengebäude wurde schon 1967/68 ein Opfer der Abrissbirne, als das alte Stadtbadehaus von 1903-6 durch einen Neubau ersetzt wurde. Aus der neuen Schwimmhalle konnte man danach durch die Glaswand auf die erhalten gebliebene Mauer zum Leinekanal blicken. 2002 wurde das neue Stadtbad seinerseits abgerissen und an seiner Stelle 2011 der Rudolf-Gernhardt-Platz gebaut, aber die Mühle wartet weiterhin auf den „Märchenprinz“, der sie wachküsst und saniert, etwa für die Nutzung als „Welthaus“. Ein Gutachten des Bauforschers Frank Högg ergab ein überraschend hohes Alter für die Fachwerkkonstruktion: Das mächtige Dach wurde 1595/96 aufgerichtet. 1804 wurde die Tür zur Brücke über den Leinekanal erneuert, von der aus die Wehre bedient und so die Wassermengen reguliert werden konnten. Die Jahreszahl steht zusammen mit zwei Wappen der Stadt Göttingen auf dem mächtigen Türsturz aus Sandstein.

Blickt man vom Waageplatz aus durch die Äste der großen Weide, erhält man einen Eindruck davon, was für eine ungewöhnliche Anlage sich hier befand (Bild unten). Ein Entwurf für den Umbau der Stockleffmühle aus dem Stadtarchiv veranschaulicht die Konstruktion: in zwei Reihen drehten sich fünf bzw. vier Räder hintereinander. Sie betrieben acht Mahlwerke für Getreide und eine Ölmühle. Allerdings wurde der durchgreifende Neubaubauplan nicht realisiert; statt dessen beließ man es bei der historisch gewachsenen, etwas unregelmäßigen Abfolge der Mühlräder. Dies lässt sich daran ablesen, dass die Öffnungen in der Mauer, durch welche die Radachsen führten, nicht alle auf dem gleiche Niveau liegen: Im Süden gibt es fünf höher liegende Öffnungen, während sich im Norden zwei höhere und zwei niedrigere abwechseln. Schaut man genauer hin, bemerkt man, dass die fünf südlichen Öffnungen nachträglich angehoben wurden, indem man einen großen Sandsteinblock einbaute. Der gebogene Sturz wurde in diesem Zusammenhang vermutlich ebenfalls höher gesetzt. Auf alten Fotos aus den 1930er Jahren waren sämtliche Öffnungen zugesetzt, erst später öffnete man sie wieder teilweise. Die Höherlegung der Öffnungen erfolgte vermutlich, weil man größere Räder einbauen wollte, durch die mehr Kraft auf die Achse übertragen wurde. Dem Umbauplan lässt sich dagegen entnehmen, dass die Mühlräder nach Norden zu stückweise größer werden sollten. Demnach sollte der Leinekanal als gleichmäßig abfallende Rampe gestaltet werden. Vielleicht hatte man auch den Raum mit den Mahlwerken angeschüttet, um die empfindliche, hölzerne Mechanik vor den regelmäßigen Überschwemmungen zu schützen.

Oben: 3D-Modell der Stockleffmühle mit Öffnungen für die Achsen der Mühlräder (Norden ist links); unten: nachkolorierter Umbauplan der Großen Mühle aus dem 18. Jahrhundert (nicht realisiert), zur Veranschaulichung mit der realen Situation synchronisiert (Quelle: Stadtarchiv Göttingen, AA Nr. 3687; Kolorierung: Thomas Küntzel).

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„Sprützenprowe“ und „Marestratsbeleidijung“ – zwei „Cheschichten“ von Schorse Szültenbürger auf dem Waageplatz

Mit gleich zwei Geschichten wurde der Waageplatz in den plattdeutschen Erzählungen von Ernst Honig aus dem alten Göttingen verewigt: Der „Sprützenprowe“ (Spritzenprobe) und der „Marestratsbeleidijung“ (Magistratsbeleidigung). Die erste Geschichte berichtet von dem jährlichen Test der Feuerspritzen der Bürgerwehren in einer Zeit, als es schon die ersten Hydranten gab. Die Bürger (die zur Teilnahme verpflichtet waren), mussten mit Strafgeldern dazu gebracht werden, zu diesem Termin zu erscheinen, weil er zunehmend folkloristischen Charakter bekam und nicht mehr ganz ernst genommen wurde. In der „Marestratsbeleidijung“ geht es um das lose Mundwerk eines Bürgers, der sich in einer Kneipe lautstark darüber beschwert, dass er seine Wagen nicht mehr auf dem Waageplatz parken kann, da ein Bauzaun beim Bau des Gerichtsgebäudes (1854-1856) die Stellplätze versperrte – Parkplatzsorgen Mitte des 19. Jahrhunderts! Die Vorladung, die der Bürger dann erhält, betraf jedoch ein Verkoppelungsverfahren, wie sie im 19. Jahrhundert nacheinander in allen Dörfern rings um Göttingen, um 1879-1888 auch für die Feldflur von Göttingen selbst durchgeführt wurden.

Der Bäckermeister Ernst Honig (1861-1930), dessen Haus in der Jüdenstraße steht, verfasste die Geschichten um 1896. Die pittoresken Masken einiger seiner Helden sind an seinem Haus zu entdecken. Den Bau des Obergerichts kannte Ernst Honig nur vom Hörensagen, während er die Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerwehren und der „Freiwilligen Feuerwehr“, die 1856 gegründet wurde, wohl noch aus seinem aktuellen Erleben heraus schildert. Pumpspritzen, wie sie bei der „Sprützenprowe“ zu Einsatz kamen, waren Ende des 19. Jahrhunderts üblich. Erst ab 1906 wurde die Feuerwehr professionalisiert. Die Spritzentests sollten gewährleisten, dass die beweglichen Teile und die Schläuche der Spritzenwagen einsatzbereit waren, denn, wie Honig beschreibt, nisteten sich gerne Mäuse darin ein und nagten die Schläuche durch. Der Waageplatz bot sich als Testgelände an, da man hier das Wasser aus dem Leinekanal abpumpen konnte. Die „Freiwillige Feuerwehr“ schloss ihre Schläuche bereits an die neuen Hydranten an, die ihr Wasser aus der Hainberg-Druckleitung erhielten (gebaut ab 1872).

Thomas Küntzel

Spritzenwagen um 1883 (aus Brockhaus‘ Conversations-Lexikon, 6. Band, Leipzig 1883).

Die Geschichte von der „Marestratsbeleidijung“ ist bei Google Books nachzulesen:

https://books.google.de/books?id=cqPycvoRhzYC&pg=PA99&lpg=PA99&dq=schorse+szültenbürger+marestratsbeleidijung&source=bl&ots=KM9E3JDBQu&sig=ACfU3U2nsgPQ_vdTlCCG5PVY44P23zGvzQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwij-4SUg4KAAxWO7qQKHVF_C2QQ6AF6BAgiEAM#v=onepage&q=schorse%20szültenbürger%20marestratsbeleidijung&f=false

Von der Senatorenvilla zur Sackstopferei: Das Gelände südlich des Waageplatzes im 19./20. Jahrhundert

Das südliche Ende des Waageplatzes wirkt heute unspektakulär: Parkplätze und das DKV-Bürohochhaus haben alle historischen Spuren verwischt. Das Hochhaus galt in den 1980er Jahren sogar als Negativbeispiel einer nicht an die Umgebung angepassten Bauweise (etwa im Planungsleitbild 1988, S. 249). Die Stadtverwaltung war damals stolz auf die überarbeitete Gestaltungssatzung, die vorschrieb, wie ein Gebäude in den Bestand einzufügen war, ohne das Straßenbild zu stören, z.B. wie viele Stockwerke es haben durfte, wie es gegliedert sein sollte und wie das Dach gestaltet sein sollte. Heute mag man z.T. anders darüber denken, gilt doch die Architektur der Moderne mittlerweile auch grundsätzlich denkmalpflegerisch als erhaltenswert, und zumindest das DKV-Hochhaus ist sehr viel feiner gegliedert als z.B. das ehemalige Hertie-Kaufhaus (heute Carré).

Entwurf für die Villa des Senators Hesse, 1883 (Stadtarchiv Göttingen)

Die Fotos und Pläne im Stadtarchiv geben Einblick, welches Gebäude hier vor dem Bau des Hochhauses gestanden hat: Eine prächtige Villa im historistischen Stil, mit einem weitläufigen Garten. Über dem Leinekanal erhob sich ein Gartenpavillon. Die Villa wurde 1883 von dem Müllermeister Hermann Hesse errichtet, der später Senator beim Rat der Stadt wurde. Er kam aus einer Müller-Dynastie, die auch in der Großen Mühle (Stockleffmühle) wirkte. Zwölf Jahre später entstand ein Gartenpavillon.

Entwurf zu einem Gartenpavillon auf dem Grundstück Obere Masch Straße 8, 1895 (Stadtarchiv Göttingen)

Die Villa wurde im ausgedehnten Gartenbereich des Hauses Obere Masch Straße 8 gebaut, das ursprünglich der Familie Hesse gehörte. Eine Brücke führte direkt über den Leinekanal zur Mühle. Zwischen Waageplatz und dem Grundstück Obere Masch Straße 8 floss damals noch der Maschbach. Er wurde später verrohrt und schließlich eine Straße südlich am Gefängnis vorbei zum Waageplatz angelegt. Hierfür wurde 1932 die Parzellengrenze zurückverlegt. Damals befand sich auf dem Villengrundstück die Autowerkstatt H. Fütterer, in der auch aus Stahlrohren Möbel hergestellt wurden. In der Villa waren mehrere Mietswohnungen eingerichtet worden. Sogar der Keller war bewohnt, was jedoch baupolizeilich beanstandet wurde. 1951 sollte das Grundstück von einer Erbengemeinschaft verkauft werden. Die Fläche wurde auf 2379 m2 veranschlagt. In den einstigen Ställen war eine Sackstopferei untergebracht, deren Verkaufsgeschäft sich in der Weender Straße beim Nabel befand. Es war damals geplant, 40 Garagen zu errichten. 1958 wurde die Villa abgerissen, weil sie baufällig war: Die Balken waren wurmstichig und vom Schwamm befallen, die Decke zum 1. Obergeschoss nicht mehr tragfähig. An ihrem Platz wurde nun das DKV-Hochhaus errichtet, was damit zu einem der ältesten Hochhäuser der Stadt wurde (gemeinsam mit dem Gebäude der Sparkasse am Groner Tor und dem Opel-Hochhaus). Weiterlesen

Hieroglyphen zwischen Schweineställen? – Der Ägyptologe Heinrich Brugsch in der Unteren Masch Straße

Pylon des Tempels von Hibe in der Oase El Khargeh (Charga), aus: H. Brugsch, Reise nach der großen Oase El Khargeh, 1878, Taf. 4 (gdz.sub.uni-goettingen.de)

In den Erinnerungen berühmter Literaten des 19. Jahrhunderts kommt Göttingen nicht immer gut weg: Das Urteil Heinrich Heines über die „Göttinger Würste und die Universität“ ist berüchtigt, und die Schilderung des bedeutenden Pharaonenforschers Brugsch steht ihm kaum nach: Die Wünsche der Göttinger an das Dasein seien bescheiden, die Wirkung der kleinen Stadt mit ihrem „beengenden Halsring“, dem Stadtwall (der damals noch die Grenze zum Umland markierte) auf den weitgereisten, in Berlin aufgewachsenen Gelehrten „abspannend“. Das Bestreben der Stadtbewohner sei nur darauf aus, ein Zimmer des Vorderhauses an einen zahlungskräftigen Studenten zu vermieten und im Hinterhaus ein „greulich stinkendes Schwein“ zu halten (S. 274). Während sich Heinrich Brugsch bemühte, sein Altägyptisch- und Hieroglyphen-Wörterbuch zu schreiben, kämpfte er gegen die Fliegen und litt unter dem Gestank der „widrigen, grunzenden Gesellschaft“, die seine Nachbarn im Garten hielten. Die Fenster seines Hauses, das auf dem Grundstück der Nr. 16 (damals Nr. 17) stand, blieben deshalb meist geschlossen. Besonders im Sommer litten seine Geruchsnerven, und er sehnte sich nach den „reinen Lüften unter dem blauen Himmel des Niltals“. Dabei war seine Nachbarschaft durchaus anregend, wohnte doch nur wenige Häuser weiter der Historiker und Hebräist Heinrich Ewald, mit dem er sich angeregt austauschte, obwohl Ewald aufgrund seines verbissenen Charakters und seiner Abneigung gegen Preußen gefürchtet war; auch mit dem Sanskritforscher Benfey sowie den Physikern Wöhler, Weber und Listing pflegte er freundlichen Umgang. Den Astronomen Klinkerfues bewunderte er als „Witzbold sondergleichen“. Die Vorlesungen von Heinrich Brugsch waren mit bis zu 500 Zuhörern gut besucht, und sie wurden scherzhaft als „Sommertheater der alma mater“ bezeichnet. In seiner Biographie nehmen die Göttinger Jahre aber nur wenig Raum ein, denn er erzählte am liebsten von seinen Forschungsreisen nach Ägypten und Persien, über die er auch spezielle Bücher geschrieben hat. Umgekehrt ist Brugsch in der interessierten Öffentlichkeit kein besonders bekannter Name, obwohl er bahnbrechendes für die Erforschung der antiken Kultur im Niltal geleistet hat. Schon als 16-jähriger Abiturient entschlüsselte er 1848 mit Hilfe des Steins von Rosette und zahlreichen Inschriften, die er per Hand im Berliner Museum in Monbijou abgeschrieben hatte, die demotische Sprache und Schrift, die gewissermaßen eine Spätform der Hieroglyphen und des Altägptischen darstellt. Dies erregte die Aufmerksamkeit von Alexander von Humboldt, der sein Förderer wurde, während der Ägyptologe Karl Richard Lepsius nicht viel von seinen Kenntnissen hielt. Er warf ihn sogar aus seiner Vorlesung und hintertrieb seine Promotion, aber Brugsch absolvierte schließlich doch an der Universität Berlin sein Studium. Weiterlesen

Klein Versailles im Hinterhof der Stadt? Wie der Waageplatz seinen Springbrunnen bekam

Die Planungen zur Modernisierung der City sahen in Göttingen seit den 1930er/40er Jahren vor, die Stadt autofreundlich zu gestalten. Parkplätze und breite Zufahrtsstraßen sollten es Kunden ermöglichen, möglichst bequem zu den Geschäftsstraßen zu gelangen. Dies wurde zunächst mit der Einrichtung der Fußgängerzone nicht anders, denn sie umfasste zu Beginn lediglich die zentralen Straßen der Stadt: Die Weender Straße und die Groner Straße sowie angrenzende Winkel. Es war sogar geplant, das Johannisviertel für einen Busbahnhof abzureißen. Der Waageplatz diente in diesem Szenario hauptsächlich dazu, die Zahl der Stellplätze für die Blechkutschen zu erhöhen. Auch viele Werktätige parkten hier, etwa Beschäftigte des Landgerichts (und später der Staatsanwaltschaft).

Orthofoto des Maschviertels von 1971 auf https://stadtplan.goettingen.de. Die „Parkplatzmeile“: Synagogenplatz, Waageplatz, ehemaliges Reitstall-Gelände.

Durch den Bau von Parkhäusern am Groner Tor und in der Hospitalstraße entspannte sich die Situation etwas. Durch den Erfolg der Fußgängerzone und das wachsende Bewusstsein für die Bedeutung der Innenstadt innerhalb des Walles als gewachsene städtebauliche Einheit in ihrer Gesamtheit rückten nun die peripheren Plätze in das Bewusstsein der Stadtplaner: Der Wilhelmsplatz und der Waageplatz, die 1978 bzw. 1979 in „Schmuckplätze“ und „grüne Oasen“ umgewandelt wurden. Der Wilhelmsplatz diente wie der Waageplatz hauptsächlich als Parkplatz, obwohl sich hier mit der Aula der Universität eines der repräsentativsten historischen Gebäude der Stadt erhob. Das Gerichtsgebäude am Waageplatz wirkt mit seiner romanisierenden Fassade nicht weniger imposant. So entschloss man sich, die Freiflächen in neue, attraktive Freizeiträume zu verwandeln: Parks statt Parkplätze, hieß nun die Devise. Die Planungskonzepte der späten 1980er Jahre betonen, dass damit die Anziehungskraft der Stadt auf Konsumenten gestärkt werden sollte. Ein wichtiges Ziel war also die Bindung der Kaufkraft, wobei Göttingen namentlich mit Kassel konkurriere, das für seine barocken Parkanlagen berühmt ist (Karlsaue, Bergpark). Im Planungsleitbild 1988 wurden die Grundsätze für die Baupolitik folgendermaßen formuliert: Es solle alles erhalten, angesiedelt und gefördert werden, was zur Lebendigkeit der Stadt beitrage (S. 10). Dies bedeute „Vielfalt in jeder Beziehung, Unterbringung aller denkbaren Nutzungen und Tätigkeiten“ sowie „größtmögliche Erlebnisdichte“, um zu verhindern, dass die Attraktivität der Innenstadt für ihre Bewohner und den Fremdenverkehr sinke. Weiterlesen

Wüstengestrüpp und Seegurken: Mit Peter Forsskål auf Reisen

Der Name Forsskål ist nur unter Spezialisten ein Begriff; die meisten werden ihn nie gehört haben. Auf der Gedenktafel am Haus Obere Masch Straße 5 liest man, er sei Forschungsreisender gewesen, was neugierig macht: Wohin führten ihn seine Reisen, was erforschte er dort?

Die Reise, die ihn berühmt machte, fand zwar nach seinem Göttingen-Aufenthalt statt, andererseits wurde die Idee zu der Expedition damals geboren. Peter Forsskål erblickte 1732 in Helsinki das Licht der Welt und schrieb sich schon mit zehn Jahren an der Universität Uppsala ein, was damals nicht ganz ungewöhnlich war. Bei Carl von Linné wurde er zum „Naturhistoriker“ und lernte, Lebewesen zu klassifizieren. Als er 1753 in die Universitätsstadt an der Leine kam, studierte er jedoch bei dem Orientalisten Johann David Michaelis, der im November diesen Jahres bei einem Vortrag vor der Akademie eine Reise nach Arabien vorschlug. Als Linguist kannte er zwar die hebräischen Wörter für viele Tier- und Pflanzenarten, die im vorderasiatischen Raum vorkommen, konnte sich aber keine Vorstellung von ihrem Aussehen machen. Michaelis schätzte Forsskål bald als eifrigen Studenten, der einen kritischen Geist besaß und alles hinterfragte, und schlug ihn für die geplante Expedition vor.

Bevor die Reise jedoch begann, kehrte Forsskål zunächst einmal nach Kopenhagen zurück. Dort bemühte er sich, eine aufklärerische Grundsatzschrift zu publizieren, die der Ausgangspunkt für seine Dissertation sein sollte: „Tankar om Borgerliga Friheten“, auf deutsch: Gedanken über bürgerliche Freiheiten. Er forderte darin nicht nur Presse-, sondern auch Religionsfreiheit und das Recht, Glaubensinhalte zu hinterfragen, zudem stellte er die privilegierte Stellung Einzelner in Frage, was in der herrschenden Ständegesellschaft damals die Regel war. Die Philosophische Fakultät der Universität Uppsala weigerte sich prompt, das (lateinische) Exposée zu publizieren. Das Thema wurde als „sehr delikat“ beurteilt, und die königliche Kanzlei betrachtete es sogar als gefährlich. Die Druckausgabe, die schließlich doch im November in Stockholm erschien, wurde verboten. Die im Umlauf befindlichen Drucke sollten konfisziert werden, was jedoch nicht sehr gründlich umgesetzt wurde. Forsskål hatte sich schon ein zu großes Renommé erworben, und er war ja auch als Mitglied jener Expedition vorgesehen, dessen Finanzierung der dänische König Friedrich V. übernommen hatte: der Orientalischen Reise.

Die „Arabische Reise des Carsten Niebuhr“, als welche die Expedition bekannt wurde, war von Michaelis zwischenzeitlich zu einer europäische Angelegenheit erhoben worden. Er hatte Forscher in allen Ländern aufgerufen, Fragestellungen einzureichen, die auf der Reise geklärt werden sollten – der Katalog umfasste schließlich mehrere hundert Fragen, etwa nach dem Charakter des Manna in der Bibel, nach „reinen“ und „unreinen“ Tieren und den Heuschrecken der ägyptischen Plagen. Neben Peter Forsskål als Botaniker und Zoologe sowie dem Mathematiker Carsten Niebuhr (1733-1815), der die Unternehmung leitete, gehörten dem Team noch der Arabist Friedrich Christian von Haven (1727-1763) an, der Arzt Christian Carl Cramer (1732-1764), der Zeichner und Kupferstecher Georg Wilhelm Baurenfeind (1728-1763) und der Dragoner Berggren. Bis auf Niebuhr kehrte keiner der Teilnehmer lebend von der Reise zurück, die bis 1766 dauerte. Von Alexandria aus reiste man zunächst durch Ägypten zum Roten Meer und in den Jemen, um von dort nach Bombay aufzubrechen. Schon während dieses Abschnitts der Reise erkrankte einer nach dem anderen an Malaria und starb (Niebuhr erklärte dies allerdings damit, dass sie sich nicht auf die tropische Lebensweise einstellen wollten). Nun allein auf sich gestellt, setzte Carsten Niebuhr seine Reise von Indien zurück nach Persien und Palästina fort. Er publizierte seinen Reisebericht ab 1772 als „Beschreibung von Arabien“, dem eine mehrbändige Ausgabe folgte. Die Aufzeichnungen seines Kollegen Forsskål hatte Niebuhr gleich nach dessen Tod nach Kopenhagen geschickt und zitierte ihn deshalb in seinem Bericht nur aus der Erinnerung. Sein primär philologisches Interesse galt dabei der Identifizierung von Tieren oder Pflanzen, deren arabische Namen bekannt waren, und weniger der naturkundlichen Beschreibung der Tiere. 1775 publizierte er jedoch die lateinischen Originaltexte, die Peter Forsskål verfasst hatte, und im Jahr darauf wurden auch die zugehörigen Zeichnungen gedruckt.

Zygophyllum desertorum, nach Forskål 1776, Tafel 11 (Digitalisat der SUB)

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