PM: Große Wut auf den Träger Heilsarmee und breite Solidarität mit den Bewohnenden

Am späten Donnerstagnachmittag, 16.01.25, sind rund 120 Göttinger:innen dem Aufruf des Forum Waageplatz-Viertel zur Kundgebung „Solidarität mit den Bewohnenden der Heilsarmee“ vor die Wohnungslosenunterkunft in der Untere-Masch-Str. 13b gefolgt. Fassungslos über die Vorgänge und wütend forderten sie den Rückzug des Trägers Die Heilsarmee aus Göttingen, den Verbleib der Wohnungslosen in einer alternativen Immobilie in der Innenstadt und die Rückkehr zur Betreuung durch die Familie Gulde, die mit ihrem Konzept flexibel auf die Bedürfnisse aller Bewohnenden eingeht.

Auf Plakaten stand zum Träger Heilsarmee „123 Jahre sind genug, ihr tut uns nicht mehr gut!“, „Viel versprochen, nichts gehalten!“ oder „Weiterhin ‚Ein zu Hause für Alle‘ in der Innenstadt“. Neben Redebeiträgen vom Forum Waageplatz-Viertel und der Basisdemokratischen Linken gab es zahlreiche spontane Beiträge am Offenen Mikrofon, darunter mehrere Bewohner, der Bestsellerautor Richard Brox und die Söhne der Familie Gulde. Die ehemalige Leiterin Esther Gulde erzählte eindringlich von mehr als 14 Jahren ihrer engagierten Arbeit und der ihrer ganzen Familie an diesem Ort, dem lange andauernden Kampf für die Bewohner:innen, seien die Lebenslagen auch noch so schwierig.

„Ich lebe seit 10 Jahren in der Heilsarmee, schaffe es nicht allein. Ich habe viele Fehler gemacht, hatte Alkoholprobleme. Bei Familie Gulde habe ich Hilfestellung bekommen. Hier konnte ich sein. Doch durch den Wechsel und den Stress der letzten Wochen ist alles wieder rückläufig, geht es bergab. Wir bekommen keine Unterstützung“ erklärt Thobias, ein Bewohner in der Wohnungslosenunterkunft.

„Ich kenne die Familie Gulde viele Jahre, schätze ihr familiäres Bewusstein, wie sie Menschsein lebt. Ich kenne auch die Heilsarmee sehr gut – doch nun bin ich schwer enttäuscht. Und wütend, wie sie hier in Göttingen mit Gewalt reinschlagen, Menschen in soziale Ungewissheit stürzen. Die Rechte der Bewohner und der Familie werden mit Füßen getreten. Ich bin auch entsetzt, dass der Träger Heilsarmee in den letzten Wochen Spenden für die Bewohner vernichtet hat. Hier geht es jetzt nur noch nach dem Motto ‚Wer nicht spurt, der fliegt‘,“ so Richard Brox, selbst viele Jahre obdachlos, mittlerweile Bestsellerautor.

Der Träger Die Heilsarmee und die Stadt Göttingen zeigten sich viele Jahre unwillig, für die in immer schlechterem Zustand befindliche Immobilie, die im Eigentum der Stadt Göttingen ist, eine Alternative zu finden. Die organisierte Nachbarschaft Forum Waageplatz-Viertel hatte mit Offenen Briefen von September 2022 und April 2024 auf die absehbare Eskalation hingewiesen und aufgerufen gemeinsam mit der Leiterin Lösungen zu finden. In ihrem Offenen Brief von Dezember 2024 und in Beiträgen auf der Kundgebung stellt das Forum fest, dass die überraschend fristlose Kündigung der langjährigen und geschätzten Leiterin und die Verdrängung der Bewohnenden aus der Innenstadt offensichtlich von langer Hand geplant waren. Jetzt gehe es weiter darum, solidarisch zu sein und Lösungen zu finden, so die Moderatorin: „Wir hier im Viertel stehen für Vielfalt und selbstbestimmtes MIteinander. Wir werden uns nicht auseinander reißen lassen – für eine starke Nachbarschaft!“

„Nach der Übernahme durch den Träger Ende November wurde den Bewohnern das Essen verweigert, wenn sie sich nicht ins willkürlich aufgesetzte System eingepasst haben. Sie wurden enormen psychischem Druck ausgesetzt, um sie zu brechen und den Vorgaben der neuen Trägerleitung anzupassen. Mit dem neuen Konzept geht es um neoliberale Aktivierung, um Anreize, Druck und befristeten Aufenthalt. Das Wohlergehen der Menschen wird einfach untergeordnet. Das darf nicht sein: Die Heilsarmee soll sich aus Göttingen zurückziehen, ein anderer Träger wird dann den Status Quo vor dem 26.11.24 wieder herstellen. Und unsere Nachbarn bekommen ihr gewohntes, psychisch und gesundheitlich wichtiges Umfeld in einer familiären Betreuungseinrichtung zurück“, erklärt Helmut Schönewolf vom Forum Waageplatz-Viertel (ganzer Redebeitrag hier).

Die Haltung der Stadt Göttingen gegenüber den Bewohnenden der Heilsarmee reiht sich ein in den Umgang mit anderen Göttinger:innen und sozialen Fragen wie im Hagenweg, Idunazentrum oder der Groner Landstraße, der Diskriminierung von Geflüchteten, Migrant:innen, Sinti und Roma.

„Dieses Einteilen von Menschen in die, die verdrängt werden, und andere, die bleiben dürfen, zeigt: Es geht um Profite und es wird alles dafür getan, dass man die existentielle Not einfach nicht sieht. Solchen kapitalistischen Logiken stellen wir uns entgegen! Denn solches Einteilen von erwünschten und unerwünschten Menschen treibt die rechte Welle immer weiter in die Höhe. Wir stehen aber hier zusammen: gegen Faschismus, Rassismus, Kapitalismus und für Solidarität“, so Lena Rademacher von der Basisdemokratischen Linken.