JVA Gefängniszeitschrift: Die Mauer

Die Mauer war eine Gefängniszeitschrift, die von Mai 1985 bis April 1986 in sieben Ausgaben erschien. Die Zeitschrift war kostenlos für die Häftlinge verfügbar und hatte eine Auflage von 350 Stück. Herausgegeben wurde sie von ehrenamtlichen Mitarbeitern, dem Sozialdienst und Pastoi. Und stieß auf große Initiative bei den Gefangenen. So heißt es: „Es soll eine Zeitung von Gefangenen für Gefangene werden, in der aber auch Platz ist für Beiträge von Familienangehörigen und Interessierten.“

„Wir brauchen Hilfe, sollten aber auch jede Möglichkeit wahrnehmen, uns selbst zu helfen. Eine Zeitung könnte Sprachrohr für uns sein, kann über unsere hochkomplizierte und polemische Situation berichten. Wir könnten aus unserer totalen Isolation heraus die Menschen dort draußen erreichen, uns mitteilen. Noch leben wir.“ (Aus „Die Mauer“ Nr. 1, Mai 1985)

In den Zeitungen werden Briefe, Berichte, Probleme und Verbesserungsvorschläge aufgenommen. Auch gibt es Zeichnungen, Rätsel und Gedichte. In der ersten Ausgabe werden auch Vorschläge für ein besseres Miteinander formuliert. Wie z.B keine Kippen aus dem Fenster zu werfen, den Hof sauber zu halten und auf die Mithäftlinge zu achten und regelmäßig zum Gruppensport zu gehen. Für die in U-Haft sitzenden gibt es keine Freizeitbeschäftigungsangebote, auch das soll geändert werden. Z.b durch Filmvorstellungen. Eine Zelle (ca 6m lang, 2.5 , breit, 3,5 m hoch) wird sich von zwei Menschen geteilt. In der Zelle gibt es zwei Betten, zwei Schränke, ein Tisch und zwei Stühle. Eine Toilette und ein Waschbecken. In der Zelle findet alles statt. Sie ist Schlaf-, Ess-, Wohn- und Waschraum. So berichten Häftlinge aus ihrem Alltag:

Unser Alltag in der JVA

„Um 6:20 Uhr ertönt die Klingel zum Wecken, wir stehen auf und machen unsere Morgentoilette, mit kaltem Wasser (Sommer wie Winter) – da ja kein warmes vorhanden ist?
Um 6:50 Uhr holen wir unser Frühstück vom Gang – Knast-Kaffee (Muckefuck), 3 Scheiben Brot, 1 stck. Margarine und Marmelade. Nach dem Frühstück findet der Zellenputz statt. Erst wird die Zelle gefegt, danach feucht aufgewischt, wie jeden Morgen.
Um 7:30 Uhr verlassen wir die Zelle und begeben uns in den Arbeitsraum. Unsere Arbeit besteht aus dem Zerkleinern von Telefonen zur Rohstoffzurückgewinnung. Das Plastik wird von den Teilen aus anderen Grundstoffen getrennt. Wir bekommen die Säcke mit den alten Telefonen, die die Post tags zuvor angeliefert hat. Mit einer Stange werden die Schrauben aus dem Unterteil des Telefons herausgeschlagen. Im nächsten Arbeitsgang werden mit einem Stechbeitel die Etiketten entfernt, damit ist die Arbeit an den Unterteilen beendet.
Mit einer Vorrichtung entfernen wir die dann die Hörergabel vom Oberteil, anschließend wird die Plexiglasscheibe,die über den Rufnummern liegt, herausgebrochen. So kann das Plastik für sich eingeschmolzen und wiederverwendet werden. Die Arbeitsleistung besteht aus Pensen, ein Pensum beträgt 80 kg sortierten Telefonen. Pro Person schaffen wir ca. 1 Pensum am Tag, dafür erhalten wir DM 6,04. Von diesem Betrag erhalten wir zum Einkauf ca. 4.- DM, der Restbetrag kommt zur Rücklage, die wir zu unserer Entlassung dann ausgezahlt bekommen.
Um 16 Uhr ist dann endlich Feierabend, danach haben wir die Möglichkeit zu duschen. Sehr oft passiert es aber, daß keine Arbeit da ist. Dann sitzen wir entweder auf der Zelle oder im Gruppenraum rum.
Um 16:30 Uhr gibt es Abendbrot in der Zelle, dann werden wir eingeschlossen. Z.Zt. hat niemand von uns einen Fernseher oder ein Radio auf der Zelle, sodaß wir fast ganz ausgeschlossen sind, von dem was außerhalb der Mauern passiert, denn Zeitungen und Zeitschriften gibt’s auch kaum.
Einmal in der Woche kommen am Montagabend für 2 Stunden die Ehrenamtlichen zu einer Gruppe, zweimal in der Woche kommt nachmittags für 2 Stunden der Lehrer und Mittwochsnachtmittags ist Gruppe mit der Sozialarbeiterin. Am Wochenende dürfen wir im Gruppenraum fernsehen.“

Kurt Göppel, Iwan Kamilska, Rolf Petzelt und Heiko Renklewski.

In der Zeitung gibt es auch eine Seite der Initiative von Sozialpädagoginnen, die Hilfe anbieten, um die soziale Isolation zu durchbrechen. So bieten sie Unterstützung bei dem Gang von Behörden an, bei Beziehungs- und Erziehungsschwierigkeiten oder Ökonomischen Problemen. Zeitung macht auf Probleme und Missstände aufmerksam und stellt Forderungen an die Leitung. So gibt es eine Reihe von Forderungen zu den schlechten hygienischen Verhältnissen in der JVA. Etwa musste das Wischwasser für den ganzen Gang reichen. Gefordert wurde frisches Wasser für jede einzelne Zelle. Eine Fußdesinfektion für die Duschen, mindestens zwei Schwämme pro Zelle und nicht nur einen Schwamm für alles ( Geschirr, Toilette, Waschbecken) Sowie aufgrund der Gefahr von AIDS die Ausstellung von Rasierer für alle Häftlinge, damit sich niemand die Rasierer teilt.

Einführung in die Knastsprache

  • Eine Bombe – 200 g Kaffee
  • Ein Buchblatt – 50 Zigarettenblättchen
  • Radfahrer/ Kratzer – Verräter ( Informant der Beamten)
  • Schließer, Harro, Wachtel, Schlüsselknecht – Beamter
  • Knastpraline – Bratklops
  • Einmal um die Sonne, Rucksack – Lebenslänglich
  • Hast du eine neue Lampe brennen? – Läuft etwas gegen dich?
  • Shore – Lebensmittel
  • Pendeln – Austausch der shore von Fenster zu Fenster
  • 2/3 Jäger – Radfahrer
  • Schoppie/ Blubber – Eintopf
  • Tempel/ Hütte – Haftraum
  • den Tempel hochschlagen – Haftraum zertrümmern

Eine Ausgabe der Zeitung wurde zensiert. So Verstöße eine Zeichnung gegen „Sicherheit und Ordnung“ der Anstalt. Die Zensur mit fünf überklebten Seiten in der fünften Ausgabe der Zeitung hat eine größere Diskussion ausgelöst und war auch im Göttinger Tageblatt.

Nach 6 monatiger Pause erschien dann die sechste Ausgabe. In der siebten Ausgabe im April 1986 wurde der Redaktionsschluss aufgrund von fehlender Kraft der Herausgeber und fehlender Unterstützung verkündet.

Die Zeitung zeigt, das es ein Versuch von Ehrenamtlichen gab in Initiative mit den Gefangenen, die Bedingungen innerhalb der JVA zu ändern und versuchte das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, wenn auch nur Forderungen nach Verbesserungen kamen und keine Grundlegende Forderung das Prinzip der Vollzugsanstalt zu überwinden. Sie gibt einen Einblick in den Alltag und die Missstände in der JVA. Die Zeitung stellte eine Möglichkeit dar, dass sich die Häftlinge aktiv an einem Projekt beteiligen konnten und dort ihre eigenen Gedanken, Themen und Wünsche äußern konnten. Die Zensur durch die Leitung zeigt allerdings auch, dass dies nur in einem Rahmen geschehen konnte, dem die Leitung zustimmte.

Mögliche weiterführende Fragen:

  • Was zeigt uns die Geschichte der JVA und die Verhältnisse wie dort Häftlinge behandelt wurden?
  • Was können wir daraus mitnehmen für das Viertel?
  • Was bedeutet das für den Umgang mit dem Gebäude? (Z.B Erhalt von Zellenkunst? Gedichten, Infotafeln zum Gefängnisalltag usw.)
  • Wie könnte eine geschichtliche Aufarbeitung aussehen?
  • Rechtsextreme und sexistische Zeichnungen in den Zellen → Zusammenhang von Isolation, Gewalt und Handlungsunfähigkeit mit Faschismus. Welche Rolle hat die JVA darin? Zeitzeug:innenberichte: Gibt es Kontakte zu ehem. Häftlingen? Mitarbeiter:innen? Ehrenamtlichen oder Sozialarbeiter:innen?