An der Innenseite des Stadtwalles schaut hinter den Gärten Untere Masch Straße 19/20 ein kurzes Mäuerchen aus dem Hang. Es ist etwa 1 m lang, ragt knapp 30 cm aus dem Boden und besteht aus zwei Lagen von körnigen Kunststeinen. Die Steine sind je 11 cm hoch und 25 cm breit. Die untere Lage reicht noch etwa 20 cm weiter nach Nordosten. Daneben steckt ein Muschelkalkstein in der Erde, der leicht schräg zu dem Mäuerchen ausgerichtet ist. Auf der gegenüberliegenden Seite des Walls, also an der Berliner Straße, ragen zwei Stützpfeiler aus dem Mauerwerk. Dazwischen ist ein vermauerter, schmaler Eingang zu sehen. Unten gibt es einen verschlossenen Stahlrahmen. Die Stützpfeiler sind die Reste eines Rundturmes, wie sie in unregelmäßigen Abständen rings um den Wall platziert waren. Ein solcher Turm hat sich am Schwänchenteich noch erhalten. Der Bismackturm bei der Odilienmühle ist ein besonders großer Turm mit polygonalem Umriss. Der Turm an der Berliner Straße hatte einen inneren Durchmesser von 5,25 m und eine Gesamtgröße von 9 m, bei knapp 1,90 m dicken Mauern. Durch den Wall führte von der Maschstraße her ehemals ein Gang, um Schießpulver und Munition in den Turm bringen zu können. Zwei solche Gänge dienen noch im Botanischen Garten als Verbindungsweg zwischen den Gewächshäusern an der Unteren Karspüle und dem Garten im einstigen Stadtgraben. Der Turm an der Maschstraße sicherte die nordwestliche Ecke des äußeren Stadtwalles. An der geraden Kurtine (Mauer zwischen zwei Bastionen) bis zum Leinekanal gab es zwei weitere Türme. Die Maueransätze des westlichen Zwischenturmes sind noch hinter der Imbissbude unter dem Efeu zu entdecken. Die Pläne aus dem 18. Jahrhundert zeigen, dass von der Höhe des Walles ein Weg zu den Türmen führte: er ermöglichte den Zugang in das Obergeschoss bzw. das Dachgeschoss. Der Gang an der Unteren Masch Straße wurde offenbar im 20. Jahrhundert vermauert. Ein kleines Loch in dem Mauerwerk an der Berliner Straße verrät, warum: Der Gang dient als Unterschlupf für Fledermäuse, die natürlich nicht gestört werden sollen. Abends sieht man sie oft durch die Gärten fliegen.
Die Anfänge der äußeren Stadtbefestigung reichen in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurück. Zuvor stellte die innere Mauer, von der noch ein Turm in der Turmstraße aufrecht steht, die Altstadt. Vor den Toren hatten sich jedoch bald Vorstädte entwickelt; seit dem späten 13. Jahrhundert etwa im Bereich der Neustadt. Der Herzog und prominente Bürger wetteiferten hier um die Ansiedlung von Handwerkern, besonders Wollenwebern. Die herzogliche Neustadt wurde schließlich 1319 von der Stadt aufgekauft. Die Herzöge hatten zuvor offenbar versucht, eine offene, nur schwer zu verteidigende Einfahrt in die Stadt zu schaffen, wobei die Marktstraße von Sankt Gallen vermutlich als Vorbild diente. Der Trichter ist noch gut an der Kommende und der gegenüberliegenden Bauflucht der Groner-Tor-Straße zu erahnen. Der Ratsherr Heidenreich Bernhardi schob diesem Bemühen jedoch ein Riegel vor, indem er 1293 an der “Kuhleine” ein Hospital stiftete. Der Hof des Hospitals ragte etwa auf Höhe der Sparkasse weit in den geplanten Straßentrichter hinein; das Hauptgebäude erhob sich im Bereich des jetzigen Gehweges. Die neue Befestigung schloss außerdem das “Alte Dorf” an der Langen Geismarstraße und das “alte Weender Dorf” im Bereich der Unteren Karspüle mit ein.
Anfangs handelte es sich nur um einen kleinen Wallgraben, der später durch eine Mauer verstärkt wurde. Ab 1442-1463 wurde die Stadtbefestigung massiv ausgebaut. Damals bedrohten die Kroaten, die von der Soester Fehde heimkehrten, die Gebiete im südlichen Niedersachsen. Sie raubten und plünderten die Dörfer und kleineren Städte. Aber auch andere Konflikte bedrohten die Stadt. Zudem setzten sich in dieser Zeit zunehmend die Geschütze in der Kriegführung durch. Deshalb wurde der Wall erhöht, Geschütztürme mit Schießkammern errichtet und Torbollwerke angelegt. Von ihnen hat sich nichts erhalten, aber ihre Grundrisse sind überliefert. Vor den eigentlichen Toren befanden sich kleine Vorhöfe, durch die die Straße in einem geknickten Verlauf geführt wurde, damit man nicht geradewegs durch die Tore in die Stadt schießen konnte. Außerdem standen 20 Bergfriede im Verlauf des Walles. 1533-1577 wurde der Abschnitt zwischen der Angerstraße und dem Ausfluss des Leinekanals erneut verstärkt, wobei man sogar alte Grabsteine vermauerte. Damals fürchtete die Stadt, die 1529 zum protestantischen Glauben übergetreten war, von den katholischen Truppen etwa des Herzogs Heinrich des Jüngeren von Wolfenbüttel erstürmt zu werden. Diese Bauphasen sind auch an dem Turm in der Berliner Straße abzulesen. Das Mauerwerk an dem Tunnelausgang besteht aus großen Sandsteinquadern und Kalksteinen. Seitlich schließt sich ein kleinteiliges, sorgfältigeres Kalksteinmauerwerk an. Demnach wurde der Walldurchgang nachträglich eingebaut. Dabei verwendete man jedes Baumaterial, dessen man habhaft werden konnte – ob einer der großen Sandsteine einmal als Grabplatte gedient hatte?
Hans Reuther, Architektur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Dietrich Denecke/ Helga Maria Kühn, Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Band 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (Göttingen 1987), S. 530-570, bes. S. 562-569.