Mit gleich zwei Geschichten wurde der Waageplatz in den plattdeutschen Erzählungen von Ernst Honig aus dem alten Göttingen verewigt: Der „Sprützenprowe“ (Spritzenprobe) und der „Marestratsbeleidijung“ (Magistratsbeleidigung). Die erste Geschichte berichtet von dem jährlichen Test der Feuerspritzen der Bürgerwehren in einer Zeit, als es schon die ersten Hydranten gab. Die Bürger (die zur Teilnahme verpflichtet waren), mussten mit Strafgeldern dazu gebracht werden, zu diesem Termin zu erscheinen, weil er zunehmend folkloristischen Charakter bekam und nicht mehr ganz ernst genommen wurde. In der „Marestratsbeleidijung“ geht es um das lose Mundwerk eines Bürgers, der sich in einer Kneipe lautstark darüber beschwert, dass er seine Wagen nicht mehr auf dem Waageplatz parken kann, da ein Bauzaun beim Bau des Gerichtsgebäudes (1854-1856) die Stellplätze versperrte – Parkplatzsorgen Mitte des 19. Jahrhunderts! Die Vorladung, die der Bürger dann erhält, betraf jedoch ein Verkoppelungsverfahren, wie sie im 19. Jahrhundert nacheinander in allen Dörfern rings um Göttingen, um 1879-1888 auch für die Feldflur von Göttingen selbst durchgeführt wurden.
Der Bäckermeister Ernst Honig (1861-1930), dessen Haus in der Jüdenstraße steht, verfasste die Geschichten um 1896. Die pittoresken Masken einiger seiner Helden sind an seinem Haus zu entdecken. Den Bau des Obergerichts kannte Ernst Honig nur vom Hörensagen, während er die Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerwehren und der „Freiwilligen Feuerwehr“, die 1856 gegründet wurde, wohl noch aus seinem aktuellen Erleben heraus schildert. Pumpspritzen, wie sie bei der „Sprützenprowe“ zu Einsatz kamen, waren Ende des 19. Jahrhunderts üblich. Erst ab 1906 wurde die Feuerwehr professionalisiert. Die Spritzentests sollten gewährleisten, dass die beweglichen Teile und die Schläuche der Spritzenwagen einsatzbereit waren, denn, wie Honig beschreibt, nisteten sich gerne Mäuse darin ein und nagten die Schläuche durch. Der Waageplatz bot sich als Testgelände an, da man hier das Wasser aus dem Leinekanal abpumpen konnte. Die „Freiwillige Feuerwehr“ schloss ihre Schläuche bereits an die neuen Hydranten an, die ihr Wasser aus der Hainberg-Druckleitung erhielten (gebaut ab 1872).
Thomas Küntzel
Die Geschichte von der „Marestratsbeleidijung“ ist bei Google Books nachzulesen:
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